Ein ehemaliger BVT-Abteilungsleiter soll gemeinsam mit ehemaligem FPÖ-Abgeordneten die “Flucht” von Jan Marsalek in der Wirecard-Affäre ermöglicht haben. Die Festnahmen werden von vielen Fragen und Ungereimtheiten überschattet. Für die nachträglich Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Ein weiterer BVT-Skandal erschüttert die Republik
Das BVT ist um eine Affäre reicher. Anlass ist die Festnahme des ehemaligen freiheitlichen Abgeordneten T. S. und des karenzierten BVT-Abteilungsleiters M. W. Beide sollen laut der Staatsanwaltschaft Wien „nebenberuflich für die Wirecard“ gearbeitet haben. Konkret sollten für den „Zahlungsanbieter die Zahlungsfähigkeit von Anbietern pornographischer Internetseiten“ überprüft werden.
Ein zusätzlicher Vorwurf gegenüber den Beschuldigten lautet, dass sie bei der angeblichen “Flucht” am 19. Juni 2020 von Jan Marsalek mitgeholfen haben. Gegen den Wirecard-Mastermind Marsalek wird wegen mehrerer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro ermittelt. Bis zum heutigen Tag ist der tatsächliche Aufenthaltsort unbekannt.
Wurde Jan Marsalek tatsächlich begünstigt?
Der Vorwurf der Begünstigung bezieht sich auf die “Flucht” von Marsalek nach Minsk.
Fragwürdige Details: Zum Zeitpunkt der angeblichen „Flucht“ des Jan Marsalek gab es keinen aufrechten Haftbefehl. Dieser wurde erst Tage* später nach seiner Ausreise erlassen. Der konkrete Vorwurf der Begünstigung erscheint ebenfalls absurd, da man jetzt auch weiß, dass die Ermittlungsbehörden selbst keinerlei Maßnahmen ergriffen hatten. Im Gegenteil: Selbst die Ausreise über Bad Vöslau mit dem Privatflugzeug erfolgte auf normale Art und Weise. Die Polizei führte eine gewöhnliche grenzpolizeiliche Ausreisekontrolle durch.
Was bedeutet das? Jegliche Ausreise aus Österreich per Linienflug, per Bahn oder per Auto wäre für Marsalek möglich und legitim gewesen. Es lagen keine Ausreisebeschränkungen gegen ihn vor. Sein Arbeitgeber zum damaligen Zeitpunkt, sprich Wirecard, hat ihn ja auch nur freigestellt. Das bedeutet mit anderen Worten, auf einen bezahlten Urlaub geschickt.
Bei dem Straftatbestand der Begünstigung im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung drohen dem ehemaligen BVT-Beamten bis zu zwei Jahre Haft. Es handelt sich auch nur um ein Vergehen, jedoch nicht um ein Verbrechen. Daher stellt sich die Frage, wo die Verhältnismäßigkeit liegt. Diese Festnahme wirkt sehr konstruiert.
BVT und angebliche Nebentätigkeit
Eine nicht gemeldete Nebentätigkeit ist laut dem Beamtenrecht ein Fall für die Disziplinarbehörde, jedoch niemals für die Staatsanwaltschaft. M. W. wird von der Staatsanwaltschaft ohne einem Anhaltspunkt vorgeworfen, dass er hoheitliche Ermittlungstätigkeiten für Wirecard vorgenommen hätte. Mit keinem Wort wird hier beschrieben, was genau M. W. gemacht hätte. Im Wortlaut: „nicht näher bekannte hoheitliche Ermittlungstätigkeiten“. Dies erscheint erneut mehr als eigenartig.
Vorwurf der Verdunkelungsgefahr
Die Verdunkelungsgefahr wirkt abermals mehr als konstruiert. Allein der Vorwurf, dass M. W. seine Handynummer mehrmals gewechselt hätte, ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Weit haben wir es im österreichischen Rechtsstaat gebracht, wenn der Wechsel von Mobilnummern bereits strafbar wird. Es darf nicht vergessen werden, dass M. W. seit Anfang der 90iger Jahre im Nachrichtendienst und der Spionageabwehr tätig war, zuletzt auch als deren oberster Chef in der operativen Informationsgewinnung.
Was bedeutet das? Es ist selbstverständlich, dass man in diesem Berufsfeld regelmäßige Schutzmaßnahmen trifft und diese auch im privaten Umfeld anwendet. Hierzu zählt auch der regelmäßige Wechsel der Telefonnummer. Warum? Aufgrund seiner Funktion ist M. W. Zielobjekt der Gegenaufklärung sämtlicher ausländischer Nachrichtendienste. Er gilt weiterhin als Schlüsselpersonal und Geheimnisträger des BVT, auch nach seiner aktiven Dienstzeit.
Spätestens seit der Einführung der DSGVO ist Datenschutz in aller Munde und hat oberste Priorität. Wenn man der abstrusen Argumentation der Staatsanwaltschaft folgt, sollte alles offen kommuniziert werden und niemals über sichere Messanger-Dienste. An dieser Stelle sei der NSA-Skandal genannt, die Staatsanwaltschaft Wien und das BVT haben zu diesem Themenkomplex keinerlei Beiträge geleistet. Das lässt den Schluss zu, dass Österreich es akzeptiert, von ausländischen Geheimdiensten abgehört zu werden.
Fakt ist, dass nach dem BVT-Skandal vom 28. Februar 2018 M. W. in mehreren Verfahren ungerechtfertigt beschuldigt worden ist. Bis auf das Verfahren zu „Foltergeneral“-Affäre wurden alle Ermittlungen eingestellt. Und hier beginnt tatsächlich die Sache zum Stinken. Am 21. Jänner war eine WKStA-Einvernahme vorgesehen, für die er eigens aus dem arabischen Ausland angereist ist. Dies unterstreicht einmal mehr seine Bereitschaft mit den Behörden zu kooperieren. Daher er scheint die Verdunkelungsgefahr ebenfalls konstruiert.
Gehört das BVT “als Ganzes abgerissen”?
Ich fürchte, das BVT gehört als Ganzes abgerissen.https://t.co/ioqlw5jJIP
— Moritz Moser (@moser_at) January 23, 2021
Der „Modus operandi“ erinnert an die Konstellation der Einrichtung der Soko-Tape (= Soko Ibiza). Erinnern wir uns daran, dass das Gesetz über das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (= BAK-G) eindeutig die Zuständigkeiten bei Straftaten im §4 regelt. Die vorgeworfenen Delikte im Falle von M. W. würden in die Zuständigkeit des BAK und nicht in jene des Bundeskriminalamtes fallen.
Dem Innenministerium dürfte M. W. ein Dorn im Auge sein. So wurde die „AG FAMA“ ins Leben gerufen, eine Arte Mini-Soko, damit der Fall, so der Verdacht, auch “in den richtigen Händen” bleibt. Nur so am Rande: Die Staatsanwaltschaft adressierte ihr Schreiben an D. S., der wiederum ein wesentlicher Ermittler in der Ibiza-Causa im Bundeskriminalamt ist. Diesem Ermittler wird ein besonderes Naheverhältnis zum neuen Leiter des BK-Leiter Andreas Holzer nachgesagt. Die parteipolitische Nähe von einzelnen Beamten der Soko-Ibiza ist spätestens seit dem Untersuchungsausschuss bestens bekannt.
M. W. gilt als „persona non grata“. Ihm wird nachgesagt, dass er einer des Autoren des BVT-Konvoluts sei, was er aber vehement im BVT-Untersuchungsausschuss bestritten hat: „Nein, ich habe das Konvolut weder verfasst noch teilverfasst noch Sonstiges. Ich habe mit den Konvoluten nichts zu tun.“ Dies dürften ihm wohl einige Kollegen aus dem rot-weiß-roten Netzwerk nicht glauben.
Download und Quelle
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Aktuelle Entwicklung
Der Redaktion wurde zugetragen, dass am Sonntag, dem 24. Jänner 2021, weitere Hausdurchsuchungen stattfinden.
*Anm. d. Redaktion: Der Begriff “Monate” wurde im Nachhinein (28.06.2022, 12:59 Uhr) auf “Tage” geändert. Wir bedanken uns beim ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (Fraktion Die Linke) für den konstruktiven Diskurs.