Gestern wurde mir die einmalige Möglichkeit geboten, als „teilnehmender Beobachter“ an der Abschlussfeier der FPÖ in der Bettelalm teilzunehmen. Ich durfte mit einer Vielzahl an Funktionären und Spitzenpolitikern aus der blauen Partei sprechen. Off the records. Eben bei einem Bier. Oft wurde ich gefragt, ob ich nun „auch einer von ihnen“ sei. Ich verneinte. Meine Rolle war klar deklariert: Journalist.
Und eben diese Gespräche waren ausschlaggebend, warum ich heute einen Kommentar schreibe. Manchmal wollen Menschen eben auch einen Kommentar von uns lesen, oder eine andere Perspektive auf die Betrachtung unseres Alltags bekommen. Ausschlaggebend war aber auch das Gespräch mit einem Kollegen vom Falter.
Aus meiner Sicht handelt es sich um drei wesentliche Punkte, die ich gestern wahrnehmen konnte, die der FPÖ in der aktuellen Diskussion fehlen: Werte, Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Werte
Es ist erstaunlich, mit welchen verschiedenen Individuen man als Journalist bei einer FPÖ-Veranstaltung in Berührung kommt. Angefangen von Polizisten, die sich an Gesetze unseres Landes akribisch halten, über brave Parteisoldaten, die bedingungslos ihre erhaltenen Aufträge umsetzen, bis hin zu Politikern mit Handschlagqualität, aber auch Karrieristen, Opportunisten oder Personen, die in Falter-Artikeln erscheinen. Das Spektrum ist gewaltig. Umso mehr war ich erstaunt, an diesem Abend immer wieder zu hören, dass nicht das Ibiza-Video oder gar das Ibiza-Netzwerk die Ursache für das schlechte Wahlergebnis war, sondern die Spesen und Abrechnungen, die letzte Woche kommuniziert wurden.
Aus meiner Sicht liegt aber genau darin die erste wesentliche Erkenntnis. Das Ibiza-Video ist sehr wohl wichtig für das gestrige Debakel. Man mag es anders gewichten, jeder für sich. Aber: die Äußerungen von Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video sind sehr wohl zu reflektieren. Es beschäftigt nach wie vor viele Funktionäre und Wähler der FPÖ. Es geht nicht nur um die Frage, ob man käuflich sei oder nicht, oder ob man einen Deal verspricht oder nicht. Es geht viel mehr um die Frage, mit welchem Wertefundament die Spitze einer Partei gegenüber Fremden, auch wenn diese eine kriminelle Energie besitzen, gegenüber tritt.
Was man sagt, auch privat, ist wesentlich für einen Spitzenpolitiker.
Angefangen von der Wertschätzung gegenüber Journalisten. Aber auch was Strache und Gudenus über einzelne Unternehmer in unserem Land sagen. Es geht auch darum, wie ich über andere Politiker von anderen Parteien denke und was ich über diese in deren Abwesenheit sage. Und daher ist es essentiell, was Heinz-Christian Strache sagt, denkt und fühlt, besser gesagt, gesagt hat, da er der höchste Repräsentant einer politischen Gesinnung, sprich der FPÖ, war. Und dieses Wertefundament gehört diskutiert und auch pro aktiv von der Partei kommuniziert. Eine Distanzierung zu einer oder mehren Persönlichkeiten mag für eine Partei der erste Schritt seien. Es geht aber darum, zu hinterfragen, wie sich Gespräche a la Ibiza-Video nicht mehr wiederholen werden. Was gedenkt die Partei zu tun, damit sich solche Aufnahmen nicht mehr wiederholen. Diesen Punkt habe ich beispielsweise an diesem Abend kein einziges Mal gehört.
Wahrheit
Jetzt können wir endlich wieder das machen, was wir können: Opposition.
Ja, mag stimmen, aber die Frage, die ich mir gestern immer wieder gestellt habe, lautet: „Wollt ihr Verantwortung übernehmen?“ Führen heißt nicht managen. Vorbild sein, vorzeigen, vormachen und allem vorleben. Das macht einen sogenannten Leader aus. Und das vermisse ich in der aktuellen Debatte.
Und damit man als Führungspersönlichkeit überhaupt funktionieren kann, muss ich authentisch kommunizieren. Daher ist Wahrheit ein wesentlicher Schlüssel der politischen Kommunikation. Nicht nur Argumente, sondern vor allem Taten zählen für die Glaubwürdigkeit einer Person oder gar einer Partei. Umso mehr war ich erstaunt, wie viele Personen, mit denen ich gestern gesprochen habe, nicht verstanden haben, warum der alte Parteiobmann schon längst nicht mehr ausgeschlossen wurde. „Oder wenigstens warum seine Mitgliedschaft nicht ruhend gestellt“. Dies Frage kann ich auch nicht beantworten, aber die Parteispitze der FPÖ kann das sehr wohl.
Ein weiterer Punkt war auch die 2500 Euro Subvention pro Monat. So hat mir gestern ein Funktionär bei einem Bier gesagt:
Der kriegt mehr für sein Haus als ich im Monat verdiene.
Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass dieses Argument wesentlich für das schlechte Ergebnis der FPÖ war und ist. Der Mythos als Partei „für den kleinen Mann“ war zerbröselt. Zum einen wurde nicht den eigenen Parteimitgliedern kommuniziert, dass es eine derartige Unterstützung für den Obmann gab. Zum anderen war es aber auch, dass man es sickernd über die mediale Berichterstattung erfahren hat. Sprich die Krisenkommunikation war katastrophal.
Beispielsweise habe ich gestern nicht einmal etwas negatives über die teuren Handtaschen gehört, sehr wohl aber das Argument eines Einkommens, für eine Arbeit im Social-Media-Bereich, die gar nicht verrichtet wurde. Und wenn man als Partei die Zielgruppe „Arbeiter“ hat, so darf man sich nicht wundern, dass diese Arbeiter einer Partei es übel nehmen, wenn sie eben eine Person bezahlt und diese nicht arbeitet, sondern lediglich nur kassiert. Wahre und klare Botschaften, dass wird von einer FPÖ erwartet. Rhetorische Ausschmückungen findet man bei den NEOS oder Grünen. Ein blauer Wähler will „Zack Zack Zack“. Insbesondere von den höchsten Repräsentanten einer Partei. Und daher sind nun Norbert Hofer und Herbert Kickl gefragt. Es wird Zeit ein Machtwort zu sprechen und vor allem Taten setzen.
Wahrhaftigkeit
Wahrhaftigkeit ist eine Denkhaltung. Und das ist der dritte Punkt, den ich gestern vermisst habt. Mit sehr vielen Personen dufte ich über unsere Enthüllungen sprechen. Und einer der häufigsten Fragen war, wie wir uns finanzieren. Und da habe ich mehrmals auf den Spenden-Link verwiesen. Hier wurde mir entgegnet, dass es so wenig Geld sei. Und meine Antwort lautete: „Korrekt. Als Journalist verdiene ich nun einmal 1/13 von dem, was ich im Einsatz als Offizier verdient habe.“ Aber warum ist das für Wahrhaftigkeit wichtig? Zur Wahrhaftigkeit gehört die Bereitschaft für wahr Gehaltenes zu überprüfen. Und diese Überprüfbarkeit fehlt sehr häufig bei der FPÖ. Man erinnere sich nur an den Rechnungshof und den Spenden. Die FPÖ war zu spät dran. Aber einen Funktionär interessiert es nun einmal, ob ein Obmann so viel oder gar noch mehr Geld erhalten hat. Ein hohes Gehalt stört nicht einen blauen Funktionär oder Wähler, ganz im Gegenteil. Was aber einen blauen Wähler stört ist, wenn es keine Grenzen gibt.
Aber die Mitglieder einer FPÖ wollen auch wissen, ob es Geschäftsanbahnungen mit Personen im Osten gibt oder ob das nur Gerüchte sind. Und es wäre naiv zu glauben, dass lediglich zwei Personen von den Inhalten aus dem Ibiza-Video gewusst haben. Solche Gespräche mussten bereits in der Vergangenheit stattgefunden haben. Wie wäre sonst ein J. H. und R. M. auf die Idee gekommen ein Video in Ibiza zu drehen?
Aber auch die Gespräche mit potentiellen Geldflüssen aus Russland, Ukraine und Bulgarien waren gestern ein Thema, mit dem ich immer wieder in Berührung kam. Einmal antwortete ich darauf: „Sollte ich davon erfahren, dann wirst du die Story auf unserer Seite lesen können.“
Unabhängig von dieser kurzen humorvollen Anekdote denke ich, dass die Frage der Wahrhaftigkeit innerhalb der Partei die wichtigste Aufgabe sein wird, die nun die Freiheitlichen anpacken müssen. Vertrauen muss mühselig erarbeitet werden.
Fazit
Distanz und Nähe äußern sich auch dadurch, dass man als Journalist die Erlebnisse und Erkenntnisse verarbeitet. In meinem Fall als Kommentar. Unser Medium ist sehr rar, was Kommentare angeht. Womöglich bekommen daher unsere Kommentare dadurch mehr Gewicht, sprich gemäß dem Motto: Willst du gelten, mach dich selten.“ Dies mag wohl für Kommentare von Fass ohne Boden stimmen, aber eben nicht für Nationalräte.
Ich war erstaunt, wie viele Spitzenfunktionäre ihre eigenen Abgeordneten persönlich nicht kennen. Umgekehrt, kannten nahezu alle Personen, mit denen ich gestern gesprochen habe, einen blauen Funktionär aus Niederösterreich, besser gesagt aus Wr. Neustadt. Dieser Politiker wird nun im Nationalrat die Interessen seiner Bürgerinnen und Bürger vertreten. Und nach den unzähligen Gesprächen mit Funktionären am gestrigen Abend, erlaube ich mir zu sagen, dass dieser Nationalratsabgeordnete in spe als Messlatte für die Neuausrichtung der Partei herangezogen werden darf. Dieser „schwarze Schwan“, der aus meiner Sicht „Werte, Wahrheit und Wahrhaftigkeit“ verkörpert, ist die neue Generationen an Politikern, die das Vertrauen von Wählerinnen und Wählern erhalten. Die FPÖ benötigt dringend mehr Politiker im Kaliber von Michael Schnedlitz.
Hintergrundinformation: Teilnehmende Beobachtung
Die Methode der „Teilnehmenden Beobachtung“ ist ein wissenschaftliches Instrument der Sozialwissenschaften. Mit dieser Methode versucht man als „Wissenshungriger“, sprich Forscher oder in meinem Fall Journalist, Erkenntnisse über das Handeln oder Verhalten von einzelnen Personen oder einer Gruppe von Menschen zu gewinnen. Das Gefährliche an dieser Methode ist die Differenz von Nähe und Distanz. Nähe, da man ja Informationen gewinnen möchte, und Distanz, um den notwendigen Abstand aufrecht zu erhalten, um sich objektiv am Erkenntnisinteresse abzuarbeiten. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir redseliger bei mehreren Bier sind, als bei einem Kaffee zu Mittag in einem Wiener Café. Und diese Differenz ist der Schlüssel zum Erfolg. Ähnlich wie bei verdeckten Ermittlungen. Aber es heißt ja nicht umsonst „Undercover“.