Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines „denkmöglichen Verrats“: Die Hausdurchsuchung vom 25. März 2019 in der Wohnung von Martin Sellner steht im Verdacht durch einen Insider vorab verraten worden zu sein. Sellner, Sprecher der Identitären Österreich: „Es gab keinerlei Information oder Warnung.“
Parlamentarische Anfragen
Die Nationalratsabgeordneten Jan Krainer (SPÖ) und Dr. Peter Pilz (Liste Jetzt) brachten je eine parlamentarische Anfrage im Mai ein. Zuerst wurde die Anfrage von Krainer am 15. Mai unter dem Titel „Verrat der Hausdurchsuchung bei Martin Sellner“ an den damaligen Innenminister Herbert Kickl eingebracht. Die Anfrage von Pilz trägt den Titel „Verdacht des Verrats der Hausdurchsuchung an Martin Sellner“.
Pilz wollte unter anderem wissen: „Wer trägt die politische Verantwortung für einen möglichen Verrat der Hausdurchsuchung an Identitären-Chef Sellner?“ Der Innenminister antwortete trocken: „Die Beantwortung dieser Frage unterliegt nicht dem parlamentarischen Interpellationsrecht.“
Zeitliche Abfolge
Am 19. März 2019 wurde der Antrag zur Anordnung einer Hausdurchsuchung an die zuständige Staatsanwaltschaft Graz gestellt.
Der damalige Generalsekretär des Innenministeriums Peter Goldgruber wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (= BVT) am 21. März 2019 schriftlich über die beantragten Maßnahmen der Staatsanwaltschaft Graz, „insbesondere wegen der zu erwartenden Medienberichterstattung,“ in Kenntnis gesetzt.
Die gerichtlich bewilligte Anordnung zur Durchführung einer Hausdurchsuchung erfolgte am 24. März 2019. Für die Durchführung wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beauftragt.
Der Generalsekretär im Bundesministerium für Inneres wurde über den „Umstand der kurzfristigen Löschungen“ vom BVT am 08. April 2019 mündlich informiert.
Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter wegen eines „denkmöglichen Verrats“ ist bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig. Die Staatsanwaltschaft Wien hat am 4. Juni 2019 das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung mit der Durchführung von Ermittlungen beauftragt.
Hintergründe
Sellners Wohnung wurde am 25. März 2019 im Zusammenhang mit einer Spende des mutmaßlichen Christchurch-Massenmörders durchsucht. Knapp eine Stunde vor der Hausdurchsuchung löschte Sellner jenen E-Mail-Verlauf. Die Frage, ob Zufall oder Insiderwissen ist der Grund für die rege politische und öffentliche Diskussion.
2018 hatte der Identitären-Chef E-Mail-Kontakt mit dem Attentäter, der zwei Anschläge auf Moscheen in Neuseeland durchgeführt hat. Bei dem Attentat starben 51 Menschen, weitere 50 wurden verletzt, teilweise schwer. Der Terroranschlag war fremdenfeindlich motiviert. Es war die Tat mit den meisten Todesopfern in Neuseelands Kriminalgeschichte seit 1943.
Beide Beantwortungen sind aber nicht sehr ergiebig: Aus ermittlungstaktischen Gründen wurde beispielsweise Abstand genommen, die Frage nach Anruf- und Chatprotokolle sowie sonstige Kommunikationskanäle von Martin Sellner und ihm nahestehenden Personen zu beantworten. Darüber hinaus wurden keine Details publik gemacht.
Stellungnahmen: Karl Mahrer und Sellner selbst
ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer fordert eine „volle Aufklärung in der Causa Sellner. […] Besonders merkwürdig ist die Tatsache, dass neben den ermittelnden Beamten ausschließlich der ehemalige Generalsekretär und Kickl-Vertraute Peter Goldgruber informiert wurde, nicht jedoch beispielsweise die eigentlich dafür zuständige Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit, wie aus der Anfragebeantwortung des Innenministers hervorgeht.“
Sellner wiederum in einer schriftlichen Stellungnahme: „Es gab keinerlei Information oder Warnung. Die Vorwürfe sind absurd. Der tatsächliche Skandal ist, dass ohne irgendwelcher konkreter Vorwürfe oder Beschuldigungen eine Razzia genehmigt wurde, die mich international als Terroverdächtigen gebrandmarkt hat. Was die Grazer Staatsanwaltschaft tut, wirkt immer mehr wie Schikane gegen eine Bewegung, die in allen Instanzen freigesprochen* wurde. ÖVP und CO täten gut daran ihre E-Mails und Spendenkonten „voll aufzuklären“, wie das Mahrer fordert. Ich habe nichts zu verbergen und sehe dieses Posse als reine Ablenkung von relevanten Themen.“
*[Anm. d. Red: Sellner war vor Gericht gestanden und im Juli 2018 von den Vorwürfen „Verhetzung“ und „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ freigesprochen worden.]
Quellen
Parlamentarische Anfrage 3554/J von Jan Krainer :
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_03554/fname_753199.pdf
Schriftliche Beantwortung von Innenminister Dr. Wolfgang Peschorn:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_03567/imfname_761765.pdf
Parlamentarische Anfrage 3563/J von Peter Pilz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_03563/imfname_752742.pdf
Schriftliche Beantwortung von Innenminister Dr. Wolfgang Peschorn: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_03565/imfname_761759.pdf
Aktualisierung
09:32 Uhr: Beim Vornamen in der Zwischenüberschrift von Karl Mahrer kam es zu einer Verwechslung. Diese wurde im Nachhinein korrigiert. Wir bedauern die Verwechslung.
Sind gelöschte E Mail‘s nicht zu rekonstruieren? Vor allem wenn das erst eine Stunde vor her vorgenommen wurde!
Meines Achten‘s nach ist das alles an den Haaren herbei gezogen!