Die Methode der Republikaner greift mittlerweile tagtäglich in Österreich, wie die heutige Politikberichterstattung zeigt. Der Vormittag begann mit leichter Kost. Statt über die Amtshaftungsklage zu berichten, gab es mehrere Häppchen, die genussvoll von Journalisten aufgegriffen wurden.
„Flood the zone with shit“ am Vormittag: Nehammer, Hanger und Schramböck
„Drei geile Pressekonferenzen“ in nur 90 Minuten? In Österreich ist alles möglich. Doch eigentlich hatte der heutige Tag am Vormittag tatsächlich ein Highlight: Nach dem Terror-Anschlag in Wien vom 2. November wurde am Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) der erste Prozess um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Republik Österreich eröffnet. Defacto hat man aber in der heutigen Berichterstattung wenig davon gelesen. Die ÖVP veranstalte einen Tsunami an Pressekonferenzen und produzierte eine Armada an Aussendungen. Verständlich, schließlich will man im Innenministerium von alten Missständen im Verfassungsschutz (BVT) ablenken. Und natürlich will man die Berichterstattung über die Aktenlieferungen des Finanzministeriums und des Bundeskanzleramts möglichst klein halten.
Pressekonferenz Nummer 1: Nehammer
Bei der ersten Pressekonferenz, um 9 Uhr sprach Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zu dem Thema „Schwerpunktaktion gegen Extremismus und Kriminalität“. Neuigkeiten gab es kaum: „Vor knapp einem Jahr ist es in Wien-Favoriten zu massiven Krawallen zwischen Türken und Kurden gekommen und auch zu Silvester ist es zu massiven Ausschreitungen mit Gewalt gegen Polizeibedienstete und zu schweren Sachbeschädigungen entlang der Straßen in Wien-Favoriten gekommen. Ausländische Konflikte haben auf Österreichs Straßen nichts zu suchen – das tolerieren wir nicht“, so der Innenminister Karl Nehammer. Darüber hinaus ließ der Minister auch den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, sprechen. Schließlich gibt es der Pressekonferenz eine besondere Bedeutung.
Pressekonferenz Nummer 2: Hanger
Eine Stunde später ging es weiter. Am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass der ÖVP-Klub “Sudel-Dossiers” über Abgeordnete des Untersuchungsausschusses anfertigen ließ. Daher hat heute die ÖVP den Spieß umgedreht und bei einer Pressekonferenz die NEOS-Fraktionsführerin Stephanie Krisper wegen einer von den Türkisen georteten „Unwahrheit“ im U-Ausschuss attackiert. Bei der Darstellung der ÖVP geht es um Treffen mit Ex-Novomatic-Geschäftspartner Peter Barthold vor dessen Aussage im U-Ausschuss.
ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger präsentierte dabei „wasserdichte Beweise“. Konkret geht es um einen Bericht der Online-Plattform EU-Infothek, wonach Kripser Barthold getroffen habe, nachdem sein Ladungstermin bereits feststand, um ihn auf seine Aussage vorzubereiten. Dagegen sind die NEOS vor dem Handelsgericht vorgegangen, jedoch in erster Instanz abgeblitzt. Kripser hat nie in Abrede gestellt, Barthold getroffen zu haben, aber bestritten, dass es der Vorbereitung gedient habe. Das hielten die NEOS auch am Montag abermals fest. Dieser Causa wird sich Fass ohne Boden noch detailliert widmen.
Pressekonferenz Nummer 3: Schramböck
Um 1030 Uhr ging es weiter: „Europa kann nie nachhaltig profitieren vom Streit zwischen den USA und China“, sagte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Sie forderte eine nachhaltige Handelsstrategie für Europa in der die Welthandelsorganisation (WTO) eingebunden werden müsse. Die Handelsstrategie brauche eine Balance zwischen einer Offenheit und nötiger Sicherheit. Gegenüber internationalen Partnern müsse auf Augenhöhe aufgetreten werden.
Darüber hinaus sprach auch der Ökonom Gabriel Felbermayr, designierter Wifo- und Noch-IfW-Chef, bezogen auf den internationalen Handel. China etwa würde bevor es richtig reich werde, überaltern, ab 2040 werde es nicht weiterwachsen. Das Reich der Mitte sei zwar in einigen Branchen industrieführend. Es gebe aber auch ein geringes Pro-Kopf-Einkommen und eine Heerschar armer Menschen, relativierte Felbermayr bei einer Studienpräsentation. Ähnlich wie bei der ersten Pressekonferenz, ließ man einen Experten sprechen.
Mal ehrlich, diese Pressekonferenz hätte es an einem Tag auch getan.
Terror in Wien: Ablenkung vom ersten Prozess um Schadenersatz
Nach dem Terror-Anschlag in Wien vom 2. November startete heute am Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) der erste Prozess um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Republik Österreich. Der Wiener Rechtsanwalt Norbert Wess, der die Mutter eines Mordopfers vertritt, die bei dem Anschlag ihr Leben verloren hat, hat ein Amtshaftungsverfahren auf den Weg gebracht. Er steht auf dem Standpunkt, dass der Anschlag verhindert hätte werden können.
Wess stützt sich dabei auf die Ergebnisse der so genannten Zerbes-Kommission, die im Auftrag von Innen- und Justizministerium allfällige Versäumnisse im Zusammenhang mit dem behördlichen Umgang mit dem späteren Attentäter untersucht hatte. Der 20-jährige Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) war nach einer Verurteilung wegen terroristischer Vereinigung vorzeitig bedingt entlassen worden und in weiterer Folge nicht in den Fokus der Verfassungsschützer geraten, obwohl Warnsignale gegeben waren. So nahm der 20-Jährige etwas mehr als drei Monate vor dem Attentat an einem Treffen radikaler Islamisten in Wien teil und versuchte in der Slowakei Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen. In ihrem Abschlussbericht zeigte die Zerbes-Kommission in diesem Zusammenhang einige Mängel auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung sowie dem Informationsfluss zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Wiener LVT.
Zum Auftakt der Verhandlung verwies Wess darauf, dass das Innenministerium zwischenzeitlich zwei Wiener LVT-Beamte „wegen einer Kette von Versäumnissen“ wegen möglichen Amtsmissbrauchs angezeigt habe: „Um so verwunderlicher und tragischer ist es für die Mutter der Getöteten, dass keine Bereitschaft der Republik Österreich besteht, das auszugleichen.“ Die junge Frau – eine 24-jährige Kunststudentin, die als Kellnerin gejobbt hatte – war vom Attentäter vor einem Lokal am Ruprechtsplatz erschossen worden. Ihre Mutter erhielt nach dem Verbrechensopfergesetz 2.000 Euro. Damit ließen sich nicht ein Mal die Überführung – die Frau stammte aus Bayern – und die Begräbniskosten abdecken.
Nun macht die Mutter neben den Überführungs- und Begräbniskosten Trauerschmerzengeld und Schockschaden geltend. Insgesamt begehrt sie rund 125.000 Euro. Die Finanzprokuratur – sie vertritt die Republik in allen Verfahren vor ordentlichen Gerichten – erkennt die geltend gemachten Ansprüche der Mutter nicht an. Eine außergerichtliche Lösung wurde abgelehnt.
Terror in Wien: FPÖ und SPÖ schießen sich auf Nehammer ein
FPÖ und SPÖ verlangten mittels Presseaussendungen ein Handeln der Regierung und eine angemessene Entschädigung für die Terror-Opfer bzw. die Hinterbliebenen.
Der freiheitliche Obmann Norbert Hofer monierte das Fehlen eines Entschädigungsfonds: „Das ist einfach nur ein schäbiges Verhalten, das die Regierung hier an den Tag legt.“ Es müsse „die höchste Priorität sein, für eine Entschädigung der Opfer zu sorgen“, meinte Hofer.
Konkreter wurde der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz: „Just an jenem Tag, an dem der Prozess einer Mutter gegen die Republik beginnt, inszeniert ÖVP-Innenminister Nehammer eine Pressekonferenz. Wenn Nehammer gerade eine Stunde vor Prozessbeginn eine Pressekonferenz zur Polizeiarbeit gegen ‚Extremismus und Kriminalität‘ abhält ist das Kalkül. Perfider und geschmackloser kann man sich einen Politiker eigentlich nicht ausdenken.“ Schnedlitz qualifizierte die ausbleibenden angemessenen Entschädigungszahlungen als „eine absolute Schande für unser Land“.
SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner nannte es „ein Armutszeugnis“, dass keine außergerichtliche Lösung gefunden wurde und eine Amtshaftungsklage eingebracht werden musste. Einwallner sah Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) in der Pflicht: „Das Abschieben der Verantwortung des Innenministers und das ständige Vertrösten auf eine Lösung sind unwürdig. Fakt ist, dass im Fall des Attentäters den Behörden viele schwere Fehler unterlaufen sind. Seine Identität wurde nicht früh genug festgestellt, trotz eines Treffens mit bekannten Terroristen wurden keine weiteren Schritte zur näheren Überwachung gesetzt. Die Opfer und Hinterbliebenen haben also einen klaren Anspruch auf Entschädigung.“
„Flood the zone with shit“ am Nachmittag
Und wer glaubt, dass die politische Berichterstattung am Vormittag schon überladen war, der irrt. Der Nachmittag stand ganz im Zeichen der „Grillerei“ von Kanzler Kurz. Die Wortgefechte waren derartig inspirierend, dass die ZIB um 1930 Uhr ihren Eröffnungsbeitrag der Diskussion im Parlament widmete. Verständlich, es flogen die Fetzen.
Mit schweren Geschützen gegen die ÖVP, insbesondere gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel, fuhr in der heutigen, von allen drei Oppositionsparteien verlangten, Sondersitzung die SPÖ auf. In einer Dringlichen Anfrage an den Bundeskanzler unter dem Titel „Österreich verdient Ehrlichkeit, Anstand und vollen Einsatz statt Korruptionsverdacht, Verfassungsbruch und Unwahrheiten“ warfen die Sozialdemokraten der ÖVP vor, „ein zunehmendes Problem mit der unabhängigen Justiz und dem Rechtsstaat“ zu haben.
Doch wozu diese ganzen Inszenierungen? Am späten Nachmittag wurde erst bekannt, dass das Finanzministerium nach massiver Kritik der Opposition die Klassifizierung mancher Akten für den Ibiza-Untersuchungsausschuss von „geheim“ herabgestuft. Und das erscheint mehr als wichtig, schließlich will die Opposition eine digitalgestützte Recherche der Akten nützen. Ein USB-Stick mit den Daten sei bereits eingelangt, teilte das Parlament am Montag in einer Aussendung mit. Die darauf enthaltenen Daten unterliegen nun der Klassifizierungsstufe 1 „eingeschränkt“. Laut Information des Ministeriums sollen der Lieferung noch weitere in derselben Klassifizierungsstufe folgen.
„Flood the zone with shit“: In Österreich wird die politische Kampfmethode von Donald Trump nun tatsächlich salonfähig. Denn eine wesentliche Information ist bei der heutigen Berichterstattung untergegangen. Die Aktenlieferungen aus dem Bundeskanzleramt vom vergangenen Freitag sind bis dato unerwähnt geblieben. Heute erhielten die parlamentarischen Fraktion erst die Benachrichtigung, dass das Material dem Ibiza-Untersuchungsausschuss übermittelt wurde.
Wenn man so will, hat am Ende des Tages Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein PR-Team alles richtig gemacht. Negative Schlagzeilen wurden auf ein Minimum reduziert, die Opferrolle am Wochenende gut aufgearbeitet und der eigene Dunstkreis „with shit“ geflutet.