Knalleffekt: Die EU-Kommission zwingt Österreich zur Neuausschreibung millionenschwerer Sicherheitsaufträge. Das Monopol der Staatsdruckerei gerät ins Wanken.
Ein Netzwerk im Schatten des Innenministeriums
Inmitten wirtschaftlicher Unsicherheit, steigender Steuern und drohender Sparpakete enthüllt sich im ÖVP geführten Innenministerium ein Skandal, der in seiner Dimension kaum zu übertreffen ist. Seit mehr als zwei Jahrzehnten scheint ein Netzwerk von Insidern und persönlichen Vertrauten des ehemaligen ÖVP-Innenministers Ernst Strasser von öffentlichen Aufträgen in Millionenhöhe profitiert zu haben.
Es geht um den Druck und die Personalisierung von Ausweisdokumenten. Hierzu zählt der Sicherheitspass, der Personalausweis, aber auch der Führerschein. Was auf den ersten Blick wie ein bürokratischer Akt erscheint, wirft Fragen zu fragwürdigen Vergaben und möglichen Schäden in dreistelliger Millionenhöhe für die Republik auf.
Maßgeschneiderte Ausschreibung für die Staatsdruckerei
Die Ausschreibungsbedingungen waren in einer Weise verfasst, die den Gegebenheiten der Staatsdruckerei entsprach. Was kann man sich darunter genau vorstellen? Beispielsweise die Gegebenheiten der Betriebsstätte über die Fertigungstiefe bis hin zur Organisationsstruktur des Unternehmens. Letztlich blieb die Österreichische Staatsdruckerei der einzige Bewerber. Die Ausschreibung entschied die Staatsdruckerei daher auch für sich. Der Vertrag wurde ohne Ablaufdatum und mit einer Mindestbindungsfrist von fünf Jahren abgeschlossen.
Die Staatsdruckerei kassiert jährlich Millionen Euro für den Druck von Pässen, Führerscheinen und anderen Dokumenten, wohl gemerkt auf unbestimmte Zeit. Andere Anbieter aus dem In- und Ausland hatten keinerlei realistische Chance, am Verfahren teilzunehmen.
Politische Sprengkraft kam unter Kickl ans Licht
Die Dreistigkeit dieses Vorgangs blieb nicht verborgen. Eine parlamentarische Anfrage der NEOS-Abgeordneter Stephanie Krisper aus dem Jahr 2018 brachte den Stein zum Rollen. Grundlage hierfür waren die Details rund um die akribischen Recherchen von Tano Bojankin. Es war Innenminister Herbert Kickl zu verdanken, der erstmals Licht in das Dickicht der Ausschreibungspraxis brachte.
In einer offiziellen Anfragebeantwortung gab das Innenministerium zu, dass die Ausschreibung zugunsten der Staatsdruckerei maßgeschneidert war. Die EU-Kommission reagierte prompt und leitete 2021 ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein.
Die EU zieht die Notbremse
Trotz mehrfacher Aufforderungen zur Korrektur und Verhandlungen mit der Kommission blieb das BMI bei seiner Linie des Aussitzens. Erst als die EU-Kommission im Juli 2024 eine erneute Entscheidung im Verfahren traf, kam Bewegung in die Sache. Derzeit laufen Verhandlungen über eine mögliche Neuausschreibung, um die Monopolstellung der Staatsdruckerei zu brechen.
Was steht auf dem Spiel?
Die zentrale Frage bleibt: Wird das Innenministerium endlich akzeptieren, dass sich auch hohe Beamte an geltendes EU-Recht halten müssen? Oder bleibt es bei der Praxis, auf Kosten der Steuerzahler millionenschwere Aufträge an ein gut vernetztes Unternehmen zu vergeben?
Fazit und Ausblick
Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich das Innenministerium der Verantwortung stellt. Für die Republik Österreich und ihre Bürger bedeutet dies weit mehr als nur die Neuausschreibung eines Auftrags. Es geht um Vertrauen in staatliche Institutionen und die Frage, ob bestehende Netzwerke weiterhin dominieren oder ein fairer Wettbewerb möglich wird, bleibt abzuwarten. Für die neue Bundesregierung wird dieser Fall zur Zerreißprobe.
Im Zuge unserer Recherchen zu den Ausschreibungsverfahren für Sicherheitsdokumente (Pässe, Personalausweise, Führerscheine) haben wir sowohl das Innenministerium als auch die Österreichische Staatsdruckerei um Stellungnahmen gebeten. Obwohl die Frist für die Beantwortung bis zum 8. Januar 2025, 12 Uhr, gesetzt wurde, haben wir uns entschieden, bereits heute zu veröffentlichen, um eine mögliche Abstimmung zwischen den Beteiligten zu vermeiden und die Unabhängigkeit unserer Berichterstattung zu gewährleisten. Wir werden etwaige nachträgliche Stellungnahmen in diesem Artikel sowie in zukünftigen Artikeln berücksichtigen.
Quellen
Stephanie Krisper Parlamentarische Anfrage
Innenministerium Herbert Kickl Anfragebeantwortung
Ausschreibung und Vergabe