Ein 17-jähriger Austrotürke stach im Februar mehr als vier Duzend Mal auf seine Ex-Freundin ein. Die Geschworenen befanden ihn des Mordversuchs für schuldig. Darüber hinaus wird er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. 165.000 Euro wurden dem Opfer zuerkannt. Der Jugendliche nahm das Urteil an, die Staatsanwältin brauche noch Bedenkzeit.
Jener 17-Jähriger, der am 27. Februar 2020 in Wien-Floridsdorf auf seine Freundin im Zuge eines Racheakts 50 Mal mit einem Messer einstach, wurde heute am Wiener Jugendlandesgericht für Strafsachen zu zehn Jahren Haft in erster Instanz verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, jedoch nahm er das Urteil an.
Staranwalt versuchte das „Warum“ im Prozess zu erörtern
Verteidiger des Jugendlichen war der Staranwalt Rudolf Mayer. Der Jugendliche erschien in einem weißen Hemd, Schutzmaske und Plastikvisier. Der Richter belehrte gleich zu Beginn der Verhandlung den Jugendlichen, dass dieser den Mundschutz abnehmen müsse, wenn der Richter mit ihm spreche. Der Schüler geht keiner Tätigkeit nach, ist ohne Einkommen und war bis zum Tatzeitpunkt unbescholten. Die Eltern des Beschuldigten waren heute nicht im Saal anwesend.
Staatsanwältin: Anklage wegen Mordversuch
Die Staatsanwältin am Landesgericht in Wien erörterte dem Jugendlichen eingangs, eisern und ohne mit der Wimper zu zucken, warum der mittlerweile 17-Jährige auf der Anklageplatz genommen hat: „Wegen versuchten Mordversuchs, da die Rettungskette sehr schnell gegriffen hat.“ Sonst hätte er sich des Mordes rechtfertigen müssen. Zum Tatzeitpunkt war der Jugendliche sechszehn Jahre alt.
Schläge und Stiche gegen das Gesicht
Am 27. Februar 2020 fing der Jugendliche das Mädchen im Wohnblock vor der Tür zur Wohnung ab. Vor der Eingangstür stellt er das Mädchen und stach 50 Mal auf sie ein. 18 Stiche versetzte der Austrotürke in den Kopf des jungen Mädchens, 15 Mal traf er die junge Dame mit dem Messer im Gesicht. Beide Wangen, aber auch die Lippen wurden durchstochen. Das Mädchen versuchte sich mit den Händen zu schützen. Dabei wurde ihr beinahe ein Finger abgetrennt. Ein weiterer Finger wurde durchtrennt. Beide Finger kann sie heute nicht mehr wie früher verwenden.
Darüber hinaus verlor das Mädchen bei dem Angriff das rechte Auge und muss nun eine Attrappe bis zu ihrem Lebensende tragen. Die Spitze der Klinge brach bei einem Stich im Schädelknochen ab und musste in einer komplizierten Notoperation rausgefräst werden. In Summe wurde der Körper und Kopf 50 Mal vom Täter malträtiert. „An Brutalität kaum zu übertreffen“, wie die Staatsanwältin während der Einvernahme erörterte. Die Staatsanwaltschaft ersparte den Zuhörern, aber vor allem auch den Geschworenen die Bilder des Opfers zu zeigen.
Nachdem das Mädchen in sich gesackt war, forderte er die damals 16-Jährige aufzustehen. Diese konnte aber nicht mehr, sie hatte ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle. Sie sagte: „Lass mich, ich mache alles.“ Der Austrotürke lies von ihr ab und forderte sie zum Schluss auf „nicht die Polizei zu rufen.“ Was sie auch nicht tat, sondern lediglich die Rettung und ihre Mutter verständigte. Das Mädchen konnte aufstehen, vermutlich unter Schock, sich in die Wohnung retten. Dort wartete sie, bis es an der Tür klopfte. Danach könne sie sich nicht mehr an den Tag erinnern.
„Ich schwöre, ich werde dich vergewaltigen.“
Die Tat kam aber nicht unerwartet. Bereits am 21. Februar 2020 gab eine Anzeige wegen Körperverletzung. Zehnmal soll sich der Jugendliche seit dem Sommer 2018 gegenüber dem Mädchen gewalttätig verhalten haben. Beide lernten einander mit 14 Jahren kennen. Am 21. Februar schlug der Austrotürke mit dem Fuß gegen ihren Kopf, worauf sie K.O gegangen sei. Besonders erschreckend: Die Polizei sprach nach diesem Vorfall kein Betretungsverbot gegen den Jungen aus.
Als Motiv, warum der Austrotürke die Tat begangen hat, stellte sich im Verlauf der Verhandlung heraus, dass es sich wohl um das Motiv der Rache gehandelt habe. Aufgrund der Anzeige durch den K.O-Schlag hätte sowohl das Mädchen, als auch der Junge vor der Polizei aussagen sollen. Und da dürfte er rot gesehen haben. „Sie hätte ihn verraten“ war während der Verhandlung zu hören.
Starkes Mädchen wurde dennoch unterdrückt
Dass es sich um ein außergewöhnlich psychisch starkes Mädchen handeln muss, wurde zunehmend während der Verhandlung jedem Zuhörer bewusst. Bereits nach zwei Wochen konnte die Schwerverletzte über den Tathergang sprechen. Die junge Lady musste bereits vor drei Jahren einen schweren Rückschlag erleiden, als ihr Vater an ihrem Geburtstag verstorben war.
Das Opfer räumte in ihrer Zeugeneinvervahme ein, dass sie keine bauchfreien Sachen tragen durfte. Ihr Ex-Freund war eifersüchtig. Und wie: Er kontrollierte sogar regelmäßig das Handy vom Mädchen, bestand darauf, dass auch sie eifersüchtig sein müsse und untersagte ihr jeglichen Kontakt zu anderen Jungs. So durfte sie auch im Sommer nicht ins Schwimmbad gehen. Andere Jungs wären „kein guter Einfluss“ für sie. So räumte der Verteidiger selbst vom Jungen ein, dass er einen „Kontrollzwang“ hatte.
Dies spiegelte sich auch in SMS und Whatsapp-Nachrichten des Jungen an seine Freundin: „Messer rein, Messer raus, Messer rot [Opfername] tot.“
Psychiaterin attestiert Entwicklungs-Persönlichkeitsstörung
So räumte die psychiatrische Sachverständige, Gabriele Wörgötter, vor Gericht ein, dass der Jugendliche zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war. Zwar nahm dieser nie Drogen oder Alkohol zu sich, dennoch gab es hinter der „unauffälligen Fassade sehr viel Auffälliges.“ Während die Psychiaterin ihr Gutachten erörterte, konnte man am Beschuldigten beobachten, dass seine Bauchatmung rapide zunahm. Er war sichtbar nervös. Die rechte Hand wurde von der linken Hand umarmt und regelmäßig zupfte er nervös an seinem enganliegendem Hemd.
So erörterte die Psychiaterin, dass er in einem Umfeld aufwuchs, wo es eine sehr starke Orientierung an Strukturen gab. Gemeint war die Familie, aber auch die Religion: „Gott ist alles“, sagte er der Psychiaterin während eines Diagnosegesprächs.
Der junge Täter verspürte keine Gefühle im herkömmlichen Sinne zu dem Mädchen, betrachte die junge Freundin als ein Objekt. „Das Über-Ich, das Recht und Unrecht zu Handlungen veranlasst, würde fehlen.“
So sah sich der Jugendliche als eine Person an, „die nicht versagen durfte“, „obwohl er bereits versagt hatte“. Gemeint war der Schulabbruch des Jugendlichen während seiner Schullaufbahn. Verstörend wirkte auch, dass er angab, er sei nur glücklich, „wenn er bei seinen Eltern“ sei.
Dies stand aber im Widerspruch zur scheinbar gelebten Gewalt in seiner Familie. Demnach dürfte sowohl sein Bruder, als auch der Vater selbst gewalttätig gegen den Jugendlichen vorgegangen sein. Während der Verhandlung war der Vater anwesend. Dieser dürfte etwas zu ihm gesagt haben, dass ihn veranlasst hatte, nichts mehr zu sagen. Bis heute äußerte sich der Jugendliche nicht zur Tat. Scheinbar dürfte der Vater es verboten haben, jedoch ist dies nur eine Annahme.
So attestierte die Psychiaterin, dass der Jugendliche als eine Gefahr für die Bevölkerung angesehen werden kann. Sollte sich die Chance nochmals ergeben, so eine Tat zu wiederholen, würde er es wieder machen. Eine Therapie, im günstigsten Falle, würde drei bis vier Jahren dauern um eine Besserung herbeizuführen. Von einer Heilung war während der Verhandlung gar nicht die Rede.
Satzergänzungstest gab Einblick in die Psyche des Jugendlichen
Der Richter war so frei und zitierte aus dem „Satzergänzungstest“ die Antworten des Jugendlichen. So habe er nur Angst vor „Gott“, sein Vater sei „sein Held“ und sein größtes Problem sei, „wenn sich seine Eltern streiten würden“.
Woher der Jugendliche dieses Weltbild habe, müsse man laut der Psychiaterin auf die Eltern zurückführen. Eine Möglichkeit sei auch aus der Moschee. Dem widersprach der Verteidiger Mayer.
Am Ende der Verhandlung nahm der Jugendliche die Maske ab und gab folgende Stellungnahme von sich: „Tut mir wirklich leid. Ich wollte mich beim Opfer entschuldigen und wünsche gute Besserung. Dass es ihr besser geht und ihr Leben weitergeht.“
1245 Uhr kam er zur Urteilsverkündung. Die Geschworenen befanden den Jugendlichen für schuldig. Erschwerend zum Strafmaß kam hinzu, dass er ein Messer für die Tat verwendet habe. Dieses wurde im Übrigen nicht mehr gefunden. Die Tatwaffe dürfte er weggeworfen haben. Aber auch die außerordentliche Gewalt beim Tathergang wurde als erschwerend gewertet. Mildernd wurde von den Geschworenen angesehen, dass er einen Lebenswandel begonnen, dass der Jugendliche gestanden und zur Wahrheitsfindung beigetragen hat.
Dem Richter ist bewusst, dass das Opfer ein Leben lang gezeichnet sein wird, weiterhin Medikamente benötigen und es Jahre dauern, bis die Genesung abgeschlossen sein wird. Die Verteidigung erklärte einen Rechtsmittelverzicht, die Staatsanwältin benötige noch Bedenkzeit. Scheinbar war ihr das Strafmaß zu gering.