„Korruption ist es sicher nicht“, schreibt Georg Kapsch.
Der Firmenchef des Technologieunternehmens Kapsch AG und Präsident der Industriellenvereinigung ist mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Es geht um Millionenzahlungen, vor allem an den Salzburger Rechtsanwalt Jürgen H. Diese stehen im Zusammenhang mit dem Autobahnmautsystem in Polen, für das der Maut- und Telematiksystem-Anbieter Kapsch TrafficCom – ein Tochterunternehmen der Kapsch-Gruppe – 2010 die Ausschreibung gewann. Insgesamt standen Provisionen von 24,8 Millionen Euro im Raum.
Donald Tusk wird Ministerpräsident
Doch der Reihe nach: Im Oktober 2007 gewann Donald Tusk als Chef der proeuropäischen und konservativen Bürgerplattform (PO) die Wahlen in Polen und wurde daraufhin neuer Ministerpräsident. Die neue Regierung könnte eine günstige Chance für ein gutes Geschäft und für seinen Aufstieg innerhalb des Konzerns sein, meinte wohl Michael W., Mitarbeiter der Kapsch TrafficCom. Denn Polen brauchte gerade ein Mautsystem. Er kontaktierte den Salzburger Rechtsanwalt Jürgen H., der auch Honorarkonsul von Polen war.
100.000 waren erst der Anfang
Das „Lobbying-Geschäft“ nahm seinen Lauf: Nach einer Vielzahl an Mails und Korrespondenzen erteilten am 8. Februar 2008 zwei Prokuristen von Kapsch TrafficCom dem Rechtsanwalt Jürgen H. die Bevollmächtigung, „Sondierungs- und Vorgespräche mit politischen Entscheidungsträgern und Führungskräften […] zwecks Ermöglichung von Aufträgen für Kapsch im Maut- und Telematikbereich in Polen“ zu führen. Das Honorar belief sich auf 100.000 Euro. Doch schmackhaft wurde der Vertrag erst mit dem Erfolgshonorar in der Höhe von zwei Prozent des Projektvolumens. Und da sollte es dann um Millionenbeträge gehen.
Der Vertrag beinhaltete einige Spitzfindigkeiten: Zum Beispiel ein persönliches Treffen des Chefs der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, oder eines weiteren Vorstandmitglieds mit den Ansprechpartnern in Polen, um „die weitere Vorgehensweise für den polnischen Markt in einem persönlichen Gespräch“ zu erörtern. Einer der zentralen Männer in Polen war Andrzej V., Geschäftsführer des Unternehmens AV Inwestor.
Geld floss nach Polen
Anfang 2008 gründete Andrzej V. zusammen mit einem gewissen Oskar M., der zur Schlüsselfigur noch aufsteigen wird, in Warschau das Unternehmen Autostrada Wschodnia. Es soll in Polen einen Auftrag für einen Straßenbau an Land ziehen.
Im Jahr 2009 steigen Kapsch TrafficCom und Ost-Kommerz, ein österreichischer Großhändler, mit jeweils 25 Prozent in das kleine Unternehmen ein – laut einem Hintergrundgespräch stammt die Idee für den Deal mit Kapsch von Andrzej V. Dass der Großhändler bis dato keine Autobahnen gebaut hat, sollte man vielleicht doch am Rande erwähnen. Die Anteile an der polnischen Firma kosteten pro Investor 200.000 Euro.
Das Kapsch-Konsortium hatte nun in Polen Fuß gefasst und verfügt über eine Schar an politischer Prominenz in Polen, die im Dienste von Oskar M. und Andrej V. stehen. In den Korrespondenzen finden sich Namen wie Robert Lipka, ehemaliger Vizeverteidigungsminister des Landes oder Andrzej Kozakiewicz, der eng mit den ehemaligen polnischen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger Lech Wałęsa zusammenarbeitete.
Das Eigenkapital der Autostrada Wschodnia steigert sich um das 16-fache auf 3.200.000 Zloty, was rund 750.000 Euro entspricht. Der Verdacht steht im Raum, dass dies die Kriegskassa für Lobbying darstelle; offiziell bemühte man sich, einen Auftrag für den Bau eines Autobahnabschnitts zu erhalten. Im selben Jahr 2009 bestellte das Unternehmen vier Aufsichtsräte – einer davon war der Rechtsanwalt Dr. Jürgen H., der über das Treuhandkonto der Kapsch TrafficCom verfügte.
Kapsch TrafficCom gewinnt Ausschreibung
Anfang Oktober 2010 erhielt eine Bietergemeinschaft mit der Kapsch TrafficCom vom polnischen Direktorium für nationale Straßen und Autobahnen (GDDKiA) „als Bestbieter aus dem Auswahlverfahren für ein Mautsystem“ den Zuschlag. Somit zog Kapsch TrafficCom den bis dahin größten Auftrag der Firmengeschichte an Land.
Der Vertrag, der bis 2018 läuft, umfasste die Errichtung sowie den Betrieb eines elektronischen Mautsystems in Polen und mit 1.750 Kilometer Straßennetz. Das Projektvolumen belief sich auf 1,24 Milliarden Euro. Zwei Prozent der Summe waren laut Vertrag nun an Provision für Rechtsanwalt Jürgen H. fällig, also 24,8 Millionen Euro.
Streit um Provision: Fünf statt 25 Millionen
Aus dem vorliegenden E-Mail-Verkehr geht hervor, dass Jürgen H. einen Partner hatte, mit dem er seinen Umsatz gerecht, sprich 1:1 teilen wollte. Beispielsweise belegt eine E-Mail am 1. Dezember 2011 die „Überweisung der Beträge in Höhe von insgesamt € 275.000,00 auf die von Dir bekannt gegebenen Konten“. Strenge Rechnung, gute Freunde, würde man meinen. Doch es kam anders.
Aus einem heftigen und intensiven Schriftwechsel lässt sich rekonstruieren, dass Eiszeit herrschte. Auf der einen Seite standen Rechtsanwalt Jürgen H. und sein Partner, auf der anderen Seite standen Vertreter der Kapsch-Gruppe, inklusive Georg Kapsch persönlich.
Rechtsanwalt Jürgen H. drohte der Kapsch-Gruppe, einen Rechtsstreit zu beginnen, sollte sich Kapsch TrafficCom nicht an den Vertrag halten. Georg Kapsch sah, wie er selbst schrieb, eine andere Lösung vor: Er wollte keine Öffentlichkeit auf diese Abrechnung lenken. Am 15. November 2012 kam es zu einer Einigung, die kleiner als die vorige Regelung ausfiel. Wörtlich heißt es:
„Zusätzlich zu den von Kapsch bis zum 12.November 2012 bereits überwiesenen Beträgen an Erfolgshonorar wird Kapsch an Rechtsanwalt Dr. Jürgen H. einen weiteren Betrag von maximal € 5 Mio. zuzüglich USt. in der jeweils gesetzlichen Höhe in 3 Teilzahlungen wie nachstehend festgehalten leisten.
1. Teilzahlung: € 1,5 Mio. zuzüglich USt. in der jeweils gesetzlichen Höhe zu verrechnen am 20.11.2012.
2. Teilzahlung: € 1,5 Mio. zuzüglich USt. in der jeweils gesetzlichen Höhe zu verrechnen am 20.4.2013.
3. Teilzahlung: € 2 Mio. zuzüglich USt. in der jeweils gesetzlichen Höhe unter den nachstehenden Bedingungen zu verrechnen am 31.01.2016.“
Anwalt Jürgen H., der mit seinem Partner anständig teilte, erhielt jedoch die dritte Teilzahlung nie: Am 4. Oktober 2013 starb er eines natürlichen Todes, an einem Schlaganfall.
Lobbying?
Mit Initialkosten von nur 100.000 Euro zu Beginn für den Rechtsanwalt, mit einigen Hunderttausend Euro für die Autostrada Wschodnia sowie mit diversen Überweisungen auf Konten in Polen und Gibraltar schaffte es die Kapsch TrafficCom „unabhängig davon“, einen Auftrag von 1,24 Milliarden Euro an Land zu ziehen. Vielen Überweisungen, Kontoauszüge, das Treuhandkonto und die diversen Firmenbeteiligungen im Ausland um die Texel-Gruppe, die Teil der Bietergemeinschaft von Kapsch TrafficCom war, werfen viele Fragen auf. In dem Bietkonsortium war auch ein Gesellschafter, Oskar M., von dem wir ja bereits mehrmals gelesen haben. Die Kapsch-Gruppe wurde von Fass ohne Boden mit den Vorwürfen vorliegenden Material konfrontiert.
Noch am selben Tag kann es zu einer Stellungnahme (gekürzt):
„Mit dem Rechtsanwalt Dr. Jürgen H., der auch polnischer Honorarkonsul war, hat Kapsch TrafficCom eine schriftliche Vereinbarung geschlossen mit dem Ziel des Markteinstieges unseres Unternehmens in Polen. In dieser Vereinbarung wird festgehalten, dass Dr. H. im Rahmen seiner Beratungstätigkeit auch Kooperationspartner hinzuziehen kann ohne Sondervereinbarungen mit Kapsch TrafficCom und ohne Zusatzkosten. Dass die von Ihnen genannten Herren Wilfried T., Andrzej V., Oskar M. und Josef T. Teile des Netzwerks von Dr. H. waren, ist uns aus der Zusammenarbeit bekannt. Die Rechnungen zwischen bzw. mit den Subunternehmern von Dr. H. mussten uns auf Basis der Vereinbarung nicht zur Kenntnis gebracht werden. Gemäß der Vereinbarung mit RA Dr. Jürgen H. wurden die jeweils geschuldeten Teilbeträge sowie ein pauschales Abfindungshonorar überwiesen, mit dem alle erbrachten Leistungen gemäß der Vereinbarung abgegolten wurden.
Kapsch TrafficCom hat sich am Unternehmen Autostrada Wschodnia beteiligt als ein Element unserer Strategie, am polnischen Markt Fuß zu fassen. Ziel war die Teilnahme an Ausschreibungen im Bereich Maut und Telematik-Systemen, die Auswahl von Partnerfirmen für verschiedene Autobahnerrichtungsprojekte sowie die Implementierung von Maut- und Telematiksystemen als Standard für Polen. Aufgrund der Beteiligung an dem Unternehmen war uns das Management der Autostrada Wschodnia sp. z o.o bekannt. Im Zuge des Erwerbs an der Autostrada Wschodnia wurde ein Shareholder Agreement zwischen der Kapsch TrafficCom und der Ost-Commerz-Gesellschaft getroffen. Das Beteiligungsverhältnis wurde im Jahr 2011 aufgelöst.“
Es bleibt ein „special smell“
Damit bestätigte die Kapsch-Gruppe die Echtheit des Materials. Merkwürdig erscheint die Tatsache, dass nach dem Tod des Rechtsanwalts eine Mappe mit Material abhandenkam. Der Nachlassverwalter hat hierfür keine Erklärung.
Wozu sich dann überhaupt Kapsch TrafficCom AG an der Autostrada Wschodnia beteiligt hat, muss zum jetzigen Zeitpunkt unbeantwortet bleiben.
Der Mastermind, Oskar M., dürfte an Krebs erkrankt sein und heute in Frankreich leben. Einige der polnischen Protagonisten waren nicht auffindbar oder wollten gar nicht auf ein Mail der Redaktion antworten.
Die jetzige polnische Regierung hat in diesem Jahr erneut ein Mautsystem ausgeschrieben, da im kommenden Jahr der Vertrag mit Kapsch TrafficCom zu Ende gehen wird.
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Bin wirklich überrascht welch interessante und gut recherchierten Themen hier gezeigt werden! Hoffe, dass die Staatsanwaltschaft bald die Ermittlungen aufnimmt!
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