Das Oberlandesgericht Wien hat soeben in einer Leitentscheidung das erste der klagsabweisenden Urteile in den über hundert Amtshaftungsverfahren gegen die Republik Österreich in Sachen Ischgl 2020 wegen schwerer Mängel aufgehoben und das Erstgericht aufgefordert ein ordentliches Beweisverfahren durchzuführen.
Im März 2020 war der Tiroler Skiort Ischgl eine Woche vor dem ersten österreichweiten Lockdown der Corona-Hotspot Europas. Rund elftausend COVID-19-Erkrankungen von Einheimischen und Touristen aus aller Welt, darunter mehrere Todesfälle, ließen sich auf in Ischgl erlittene Infektionen zurückführen. Hauptverantwortlich für die massive Ausbreitung des Virus waren dabei die österreichischen Gesundheitsbehörden.
Mehrere europäische Länder, allen voran Island, hatten die österreichischen Behörden gewarnt, dass es in Ischgl einen Corona-Cluster geben müsse, weil zahlreiche Urlauber nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer positiv getestet wurden. Die österreichischen Behörden reagierten allerdings zu spät oder nur zögerlich. Als feststand, dass bei einigen Urlaubern die ersten Symptome bereits in Ischgl aufgetreten waren, verbreitete die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol scheinbar Falschmeldungen, die Isländer hätten sich erst auf dem Rückflug angesteckt.
Laut Aussendung des Verbraucherschutzvereines wäre genug Zeit gewesen, um die Öffentlichkeit vor der Gefahr zu warnen. Im Fall Ischgl hingegen ließen die Beamten tatenlos zu, dass tausende Gäste, viele davon bereits infiziert, aus dem Tiroler Skiort ungehindert abreisen konnten und das Virus in ihren Heimatländern verbreitet wurde.
Verbraucherschützer hofft auf Schadenersatz
„Das Oberlandesgericht Wien kommt zu dem Schluss, dass die Presseinformation des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 5.3.2020 irreführend falsch war (Verweis aug Ansteckung von Isländern im Flugzeug), rechtswidrig und schuldhaft war und ordnet daher die Fortsetzung des Verfahrens in erster Instanz an“ sagt Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereines (VSV). „Allerdings werden wohl beide Seiten zuvor noch einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof einbringen.“
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, bei dem bis dato über hundert Geschädigte mit Unterstützung des VSV die Amtshaftung der Republik Österreich geltend machen, wies bisher sämtliche Klagen ab, ohne auch nur einen einzigen Zeugen einzuvernehmen. Die Begründung: das österreichische Epidemiegesetz, aber auch alle anderen Rechtsgrundlagen, auf die sich die Kläger stützen, würden nur die Allgemeinheit schützen, nicht jedoch den Einzelnen. Außerdem hätten die Beamten aus damaliger Sicht ohnedies vertretbar agiert.
Dieses Fehlurteil hat das Oberlandesgericht Wien nun aufgehoben, die Rechtssachen in die erste Instanz zurückverwiesen und die Durchführung umfassender Beweisverfahren angeordnet.
„Es ist erfreulich, dass wir den neuralgischen Punkt für eine Amtshaftung gefunden haben“, sagt Peter Kolba. „Das Erstgericht muss die Amtshaftungsklagen nun fundiert prüfen. Wir vertrauen daher darauf, dass die Republik Österreich den Geschädigten von Ischgl letztlich Schadenersatz leisten wird. Das wäre nicht nur im Interesse der Opfer, sondern auch des heimischen Tourismus und nicht zuletzt im Interesse des Ansehens der österreichischen Justiz. Wir laden die Vertreter des Staates erneut zu außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen über eine rasche und faire Lösung für alle Betroffenen ein.“