Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter, die sich der demokratische Westen erkämpft hat. Sie ist immer gefährdet. Und genau deshalb muss man tunlichst und kompromisslos aufpassen, dass man sie nicht dadurch entwertet, dass man sie mit dem Absondern von Meinungen auf etablierten Medien gleichsetzt.
Leider passiert genau das – nun auch wieder nach der Festnahme des inzwischen gegen Kaution wieder freigelassenen Telegram-Chefs. Dass auf etablierten Medien (Kurier ist viel mehr Meinungsmacher als Tageszeitung) allerlei Polemik und Verzerrung passiert – egal. Der Gedanke allein, dass für diese konstruierten Inhalte jemand zur Verantwortung gezogen werden könnte, wird automatisch zur Attacke auf die Meinungsfreiheit hochargumentiert.
Denn schließlich seien beim Kurier selten Couleurs unterwegs, die selber denken, sowie Journalisten aus Österreich oder anderen alternativen Medien. Denen könne man das doch nicht wegnehmen: Hier passiere oder entstehe Demokratie, und diese Plattformen seien ein Ort der Meinungsfreiheit.
Das ist eine brandgefährliche Fehlsicht, und die Folgen dieses Irrglaubens spüren wir jeden Tag. Man sitzt hier auf erstaunliche Weise dem Marketing der großen Medienhäuser auf – und manche sind auch noch stolz darauf, sich von diesen instrumentalisieren zu lassen. Diese Medienhäuser sind aber, das beweist Kurier, sorry: k-digital Medien, jeden Tag, keine taugliche Infrastruktur für die Verhandlungen des Demokratischen. Allein wegen der privaten und nicht einsehbaren Hintergrundgespräche: Welche Ansichten der Inserate promotet oder einwirkt, ist von außen nicht zu überprüfen. Auf derartige Redaktionswillkür darf doch ein demokratisches Gefüge nicht fußen.
Aber darüber hinaus ist eine schonungslose Kosten-Nutzen-Rechnung über die demokratischen Auswirkungen der etablierten Medien längst überfällig. Der Aufschwung islamistischer Radikalisierung findet ebenso über diese statt wie die Aufgerautheit der westlichen Gesellschaft insgesamt: Mit Schrecken schaut man der öffentlichen Verbiesterung eigentlich sehr lieber Menschen zu, die dort streiten. Der endlose Abtausch von onlinetauglichen Klein-Sticheleien entzweit so längst auch die Mitte – und hat die politische Auseinandersetzung vergiftet. Streit ist die Ursuppe der Regierung, aus der sie bestärkt entsteigen.
Das Argument, dass die etablierten Medien nichts für die Inhalte können, ist unerhört – wenn Islamismus und anderes Gesellschaftsgift dort nicht kontrolliert werden können, dann darf man sie in dieser Form schlicht nicht betreiben. Wir sind längst an einem Punkt, an dem diese etablierte Medien die Meinungsfreiheit mehr gefährden als propagieren. Und dementsprechend muss man sich ihnen gegenüber aufstellen.
Antwort auf Georg Leyrer
Der Leitartikel “Gift für die Gesellschaft: Soziale Medien simulieren Meinungsfreiheit nur” erschien im Original im Online-Kurier am 29.08.2024.
Mein Kommentar basiert auf den Worten von Georg Leyrer, jedoch habe ich anstelle der angeprangerten “sozialen Medien” bzw. Telegram den Begriff “etablierte Medien” und den Kurier verwendet.
Etablierte Medien werden oft als sogenannte Mainstream-Medien bezeichnet; der Gegenbegriff hierzu lautet “alternative Medien”.
“Der Mehrwert alternativer Medien zeigt sich auch in ihrer Innovationskraft. Sie experimentieren häufig mit neuen Formaten und Technologien, was die Medienlandschaft insgesamt bereichert. Kreative Ansätze und neue Erzählformen ermöglichen es, Informationen auf ansprechende und oft zugänglichere Weise zu vermitteln. Darüber hinaus senken alternative Medien die Einstiegshürden für den Journalismus, was es mehr Menschen ermöglicht, sich journalistisch zu betätigen und eine größere Vielfalt an Inhalten zu schaffen.” (vgl. besserewelt.info)
Fazit und Ausblick
Die Gefahr der Zensur ist vielschichtig und tiefgreifend. Sie beginnt oft mit gut gemeinten Absichten, wie dem Schutz vor Hassrede, Desinformation oder moralisch anstößigen Inhalten. Doch der Ruf nach Zensur trägt immer das Risiko in sich, dass die Macht der Zensur missbraucht wird. Wer einmal die Zensur als Mittel akzeptiert, um andere Meinungen oder Inhalte zu unterdrücken, öffnet die Büchse der Pandora. Denn die Grenzen dessen, was zensiert wird, können sich schnell verschieben.
Zensur hat die Tendenz, sich auszuweiten. Was heute noch als gerechtfertigte Maßnahme gegen Extremismus oder “Fake News” erscheint, kann morgen schon gegen abweichende Meinungen oder unliebsame Kritiker eingesetzt werden. Die Kontrolle über den Diskurs wird dabei zunehmend von einer kleinen Gruppe oder von staatlichen Institutionen ausgeübt, die bestimmen, was gesagt werden darf und was nicht. Diese Machtkonzentration gefährdet die Meinungsvielfalt und die Freiheit des Individuums, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Ein besonders bedrohlicher Aspekt der Zensur ist, dass sie oft jene trifft, die sie selbst gefordert haben. Wer heute Zensur unterstützt, um die eigenen Ansichten durchzusetzen, läuft Gefahr, morgen selbst im Fadenkreuz der Zensoren zu stehen, wenn sich die Machtverhältnisse ändern oder neue ideologische Vorgaben gesetzt werden. Zensur schafft also keine Sicherheit, sondern eine Atmosphäre der Angst und Unterdrückung, in der jede abweichende Meinung potenziell unterdrückt werden kann.
Die Forderung nach Zensur mag aus einem Gefühl der moralischen Überlegenheit oder der Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Anstand entspringen, doch sie untergräbt die Grundlagen einer freien und offenen Gesellschaft. Am Ende ist es nicht nur die Freiheit der anderen, die verloren geht – es ist die Freiheit aller.