Keiner kennt die geheimsten Geheimnisse Österreichs so wie Gert-René Polli (61). 25 Jahre Berufsoffizier und im militärischen Auslandsnachrichtendienst HNaA tätig, wurde der wichtigste Verfassungsschützer und Terrorbekämpfer der Alpenrepublik. Er war mittendrin im großen Spiel zwischen USA, Russland und dem Iran, war an düstersten Orten der Welt unterwegs, um Geiseln zu befreien. Polli hat nahezu alles gesehen, was ein Geheimdienstler sehen kann, und jetzt ist sein neues Buch erschienen: „Schattenwelten“. Mehr als ein guter Grund, mit dem Mann zu sprechen.
Gert-René Polli, was erwartet die Leser Ihres neuen Buches „Schattenwelten“? Eine schonungslose Abrechnung der verfehlten Sicherheitspolitik Österreichs? Eine biografische Rechtfertigung und Klarstellung falscher Behauptungen über Sie? Oder Enthüllungen über die wahren Gründe, warum Sie als Leiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gehen mussten?
Wien ist nicht nur die Hauptstadt der Spione, sondern auch die Hauptstadt der Intrigen. Und nirgends werden Intrigen so perfekt platziert, wie in Geheimdiensten. Obwohl das Buch kein klassisches Aufdeckerbuch ist, gibt es Einblick in die Welt der von Wien aus gesteuerten Spionage und die Rolle von Politik, Parteien, Unternehmen und wie sie mit dem Geheimdienst in Österreich umgehen.
Das Buch ist ein sehr persönlich gehaltener Einblick in die Welt der Geheimdienste aus der Perspektive eines Dienstchefs in Österreich. Ich war von 2002 bis 2008 in dieser Position und war Garant für einen Neubeginn, nicht nur der Spionageabwehr in Österreich, sondern auch darüber hinausgehend. Rückblickend war Wien so etwas wie eine geheimdienstliche Erbpacht der Alliierten und genauso agierten die vier großen ausländischen Nachrichtendienste in und von Wien aus.
Die Politik ließ die ausländischen Dienste gewähren, mehr noch, es etablierte sich eine Art stillschweigender Konsens zwischen den Operationen ausländischer Dienste in Wien und den wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern in Österreich. Als ich diese Funktion übernahm war ich im Umgang mit Nachrichtendiensten kein Amateur mehr. Was ich allerdings schon in den ersten Jahren erlebte, sprengte meine damalige Vorstellung.
Sehr schnell stieß ich an die Grenzen gerade noch akzeptierter staatsschutzrelevanter Arbeit. Ich wurde bald zu einem Störfaktor eines jahrelangen Konsenses, der mit den gesetzlichen Aufgaben des BVT und mit der nationalen Sicherheit des Landes immer schwerer in Einklang zu bringen war. Meine Bestellung als Direktor lief nach der vollen Amtszeit aus, an eine Verlängerung meiner Funktion war nicht zu denken. Medien sind die Waffen der Nachrichtendienste und Rufmord eine gängige Methode. Mein Buch ist keine Abrechnung oder gar Anklage. Es weist sehr starke autobiografische Züge auf und schaut hinter die Kulissen dessen, was die Wiener „die Welt der Schlapphüte“ nennen. Eine faszinierende und zugleich gefährliche Welt, die aus einer sehr persönlichen Perspektive erzählt wird.
Sie haben einmal sinngemäß gesagt: Wien ist immer noch das Spionagezentrum in Europa. Warum ist das so?
Das ist heute mehr denn je der Fall. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die dichte russische Intelligence Community in Wien in den medialen und nachrichtendienstlichen Focus gerückt. Obwohl diese Dichte schon seit Jahrzehnten existiert, wird sie erstmals von der österreichischen Politik, den internationalen Medien und dem eigenen Staatsschutz als Bedrohung wahrgenommen. Die Prioritäten der Russischen Dienste in Österreich haben sich im Lichte dieses andauernden Krieges in der Ukraine jedoch verschoben.
Oberste Priorität des FSB und auch der Mitarbeiter anderer russischer Dienste in Österreich ist die politische Aufklärung, also wie der Westen auf die russische Aggression reagiert und reagieren wird. Für die russische Politik sind diese Informationen enorm wichtig, um die Grenzen auszuloten. Es geht aber auch um handfestere Aufklärungsprofile, wie z.B. darum, wie westliche Waffenlieferungen ihren Weg in die Ukraine finden, bis hin über die Aufklärung von Waffenlagern und Transportwegen.
Der GRU in Österreich ist mit diesem Anforderungsprofil nicht nur ausgelastet, sondern auch überfordert. Agentendichte in Wien hin oder her, die russische Intelligence Community war bisher nicht in der Lage, akkurate Informationen an ihre politische Führung in Moskau heranzutragen, die zu einem realistischen Lagebild im Vorfeld dieses Aggressionskrieges in der Ukraine beitragen konnte. Wie sonst ist es erklärbar, dass die russischen Streitkräfte derart blauäugig ihre Aggression vorantrieben und voran treiben.
Ich würde heuer soweit gehen, Wien einen zentralen Stellenwert für die russische Aufklärung gegen den Westen einzuräumen. Einer der Gründe dafür ist die Gesetzeslage, die Spionage in Österreich nur dann unter Strafe stellt, wenn sie sich gegen die Interessen der Republik richtet. Das lässt jede Form der Interpretation zu. Auch wenn solche Einschätzungen nicht dem derzeitigen Zeitgeist entsprechen, die Geheimdienstdichte in Österreich ist längst nicht auf die russischen Dienste begrenzt. Der Krieg in der Ukraine hat diesen Aspekt in den Hintergrund treten lassen.
Wer sich mit Ihrem Lebenslauf beschäftigt, der entdeckt ein erstaunliche Karriere. Ein gelernter Tischler aus Kärnten, der beim Bundesheer Karriere machte. Und nach 9/11 zum obersten Terrorbekämpfer Österreichs wurde. Und dazwischen atemberaubende Geschichten, gefährliche Geschichten, Lösegeldverhandlungen, Geiselbefreiungen. Angeblich sollen Sie Geheime Dokumente an den Iran weitergegeben haben – was Sie bis heute bestreiten…
Es ist richtig, ich war seit meinem 17. Lebensjahr, zuerst als Soldat, dann als Offizier beim Österreichischen Bundesheer und später als Leiter des österreichischen Staatsschutzes tätig. Da erlebt man sehr viel, Angenehmes wie auch Unangenehmes und auch Erstaunliches. Dinge, mit dem man nie gerechnet hatte.
Die prägendste Zeit meiner Beruflichen Karriere war die Zeit im Auslandsnachrichtendienst während des Jugoslawienkrieges. Die fordernste Zeit war mein Studium in den USA an der Naval Postgrade School in Monterey/Kalifornien. Das, was ich dann ab 2002 als Leiter der schwierigsten Behörde in Österreich erlebte, stellte alles bisher erlebte in den Schatten. Obwohl mein Buch nie explizit darauf eingeht, ich konnte gegen Ende meiner Zeit als Direktor BVT am eigenen Leib erfahren, was der „Deep State“ bedeutete, wenn er sich dann manifestiert.
Trotzdem, die Zeit als Direktor BVT war gekennzeichnet von Erfolgen und Misserfolgen, von international entgegengebrachtem Vertrauen, genauso wie Missgunst und Intrigen. Viele Beispiele aus der Vergangenheit haben im Nachhinein gezeigt, dass die erfolgreichsten Intrigen immer aus dem eigenen Umfeld heraus ihren Anfang nahmen. Wien ist bekannt genau dafür. Als Direktor BVT bin ich eine sehr eigenständige Linie gefahren, was mir im Ausland viel Unterstützung und Anerkennung einbrachte. Aber nicht überall.
Nachrichtendienste haben auch die Aufgabe, Gesprächskanäle offenzuhalten und zwar auch dann, wenn die Politik solche Kanäle längst geschlossen hat. Die Beziehung des BVT in meiner Zeit zum Iran war so ein Thema, neben vielen anderen. Das Zustandekommen der geheimen Verhandlungen der USA mit dem Iran in Wien gehen wesentlich auf die Aktivitäten des BVT zurück. Das war vielen ein Dorn im Auge. Verdachtslagen wurden vorangetrieben, die sich schon nach kürzester Zeit in Luft aufgelöst hatten. Manche Nachrichtendienste sind allerdings hartnäckig, ja geradezu bösartig.
Und die Presse befeuert bis heute noch nicht haltbare Gerüchte. Alles in Allem, es war eine spannende Zeit und das Buch „Schattenwelten“ gibt einen Eindruck der Arbeit in einer höchst sensiblen Organisation, dem österreichischen Staatsschutz BVT und seine Nachwirkungen. Wenn Sie mich allerdings fragen, welche Beschäftigung mir am meisten Freude macht, so ist das meine Lehrtätigkeit an der Ukrainian-America Concordia Universitity in Kiew, wo ich als Honorarprofessor für Nachrichtendienste meinen Beitrag leisten darf.
Sie vermuten, dass nicht der Iran der Grund gewesen ist, sie von ihrer Spitzenposition im BVT abzulösen, sondern dass die USA dahinter steckten. Mögen Sie uns die Geschichte erzählen?
Das Buch „Schattenwelten“ ist alles andere als ein Buch, das Handlungsweisen und damalige Motivationen zu rechtfertigen versucht. Es erzählt eine ganz persönliche Geschichte, im Sturm der Geheimdienste in Wien. Es zeigt aber auf, wie abhängig Karrieren in solchen Funktionen von der Politik ausländischer Nachrichtendienste sind, vor allem in Wien.
In den Medien hält sich nachhaltig das Gerücht, dass meine nicht verlängerte Amtszeit in Wien etwas mit dem Verhältnis zwischen dem BVT und dem Iran zu tun hätte. Darin liegt schon ein Körnchen Wahrheit, aber das ist auch schon alles. Das Buch geht auf dieses Thema ein und zeigt aus der Sicht des österreichischen Staatsschutzes den Umgang der österreichischen Politik mit dem Iran und die Rolle des BVT und auch meine. Ich glaube, dass diese Nachhaltigkeit, mit der ich auch medial heute noch verfolgt werde, etwa mit meiner Rolle als Leiter der Konzernsicherheit der Siemens AG in München zu tun hat und hatte.
Rückblickend und mit dem heutigen Wissen ist mir klar, dass zu viel Eigenständigkeit und eine zu starke Betonung des eigenen – österreichischen – Interesses nicht unbedingt das Verhalten war und ist, das sich ausländische Dienste von einem Leiter einer solchen Behörde erwarten, wird das Land doch bis heute als eine Art nachrichtendienstliche Außenstelle westlicher Alliierter verstanden.
In Zeitungsartikeln sagt man Ihnen bisweilen einen Hang zum guten Leben und zum Genuss edler Tabakerzeugnisse nach. Verraten Sie uns, ob Sie ihren Martini geschüttelt oder gerührt trinken?
Finden Sie es heraus!
Das Gespräch führte Klaus Kelle. Das Interview erschien erstmals auf the-germanz.de.
„Schattenwelten“ ist im ARES Verlag erschienen, 320 Seiten, VP: 25,90 Euro.
ISBN-10 : 3990810979
ISBN-13 : 978-3990810972