Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 war Libyen im Chaos versunken. Rivalisierende Milizen, korrupte Politiker und islamistische Terrorgruppen ringen um die Macht, doch mittlerweile mischen zu viele Mächte im libyschen Sumpf mit. Die Einheitsregierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch kontrolliert nur einen kleinen Teil, sprich den Westen des nordafrikanischen Landes. Im Osten wiederum hat der Oberbefehlshaber der Streikräfte Libyens (berufen vom Abgeordnetenhaus im ostlybischen Tobruk) Chalifa Haftar das Sagen. Dieser wird mittlerweile häufig auch als Warlord tituliert.
Westen / Fajis al-Sarradsch vs. Osten / Haftar
Haftar genießt aber nicht nur vom libyischen Militär Loyalität, sondern auch von Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eine breite Unterstützung. Alle drei Staaten stehen seit Jahren an seiner Seite und setzen auf einen militärischen Sieg Haftars, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Darüber hinaus sind diverse Kampferfolge von Haftar gegen Tripolis vor allem russischen Söldnern zu verdanken.
Aber auch ein weiterer Akteur ist in das Piranha Becken gesprungen: die Türkei mit Recep Tayyip Erdoğan. Zur Unterstützung von Fayiz as-Sarradsch hat der türkische Autokrat Anfang 2020 syrische Söldner nach Libyen entsandt.
Darüber hinaus haben Frankreich und Italien starke Partikularinteressen. Grundsätzlich geht es um wirtschaftliche Überlegungen, da zum einen die Öl- und Ergasvorräte sowie die Pipelines im Osten Libyens nicht zu unterschätzen sind. Darüber hinaus ist Libyen für die Flüchtlingsroute nach Italien und somit für die europäische Flüchtlingsfrage eine neuralgische Drehscheibe.
Ägypten bereit für eine militärische Intervention
In Kairo stehen die Vorzeichen auf Krieg. Ägypten legitimiert eine militärische Operation, da man „die nationale Sicherheit Ägyptens an der strategischen Front im Westen gegen alle Taten krimineller Milizen und ausländischer terroristischer Elemente“ (Karim El-Gawhary, Die Presse, S.4, 22.07.2020) verteidigen möchte. Gemeint sind Terroristen und Waffenschmuggler.
Ägyptens Staatschef, Abdel Fattah al-Sisi, hat daher vor knapp zwei Wochen die Zustimmung des Parlaments für eine militärische Intervention im Nachbarland Libyen eingeholt. Und dies ist nicht verwunderlich. Das Tourismusland ist wirtschaftlich stark angeschlagen. In den letzten Wochen und Monaten die Gäste aus dem Ausland weggeblieben sind. Darüber hinaus leidet Ägypten unter der Corona-Pandemie. Bis dato haben sich in Ägypten knapp 100.000 Menschen seit dem Ausbruch von COVID-19 mit dem Virus infiziert. Die Zahl der Toten (Stand: 02.08.2020) ist mittlerweile auf 4.834 Personen gestiegen.
Bürgerkrieg kann überschwappen
Grundsätzlich würde eine militärische Operation Ägyptens im Westen des Landes, sprich zur Grenze Libyens, dazuführen, dass die Milizen im Osten von Libyen frei werden. Diese wiederum könnten im Nordwesten des kontrollierten Gebiets von Haftar, sprich in Sirte sich formieren, um einen Angriff gegen die Regierung Fajis al-Sarradsch starten. Dies wiederum würde zu immensen Spannungen unter den NATO-Partnern führen.
Jede militärische Intervention von Ägypen kann aber auch dazu führen, dass subversive Kräfte sich in Ägypten mit gezielten terroristischen Terrorangriffen rächen werden. Darüber hinaus sieht Ägypten sich der Gefahr ausgesetzt, selbst im libyischen Chaos zu versinken, da ein langanhaltender Krieg zu Abnutzungserscheinungen führen wird, jedoch zu keinem Sieger.
Anmerkung der Redaktion
In den kommenden Wochen werden wir verstärkt über die aktuelle Entwicklung in Libyen berichten. Der zuvor genannte Korruptionssumpf zieht sich bis nach Österreich, jedoch werden wir diesen Themenkomplex erst in ein paar Wochen aufarbeiten.
Zitat: „ Haftar genießt aber nicht nur vom libyischen Militär Loyalität, sondern auch von Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eine breite Unterstützung“
VAE schließt Frieden mit Israel oder ist das eine Farce?