Die parlamentarische Beantwortung der Anfrage von Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) erinnert an „Neusprech“ (= Newspeak). „Neusprech“ nennt sich die sprachpolitisch umgestaltete Sprache in George Orwells dystopischem Roman 1984. Mit „Neusprech“ umschreibt man sinngemäß die Bezeichnung für sprachliche Mittel, „die durch Sprachmanipulation bewusst verändert werden, um Tatsachen zu verbergen und die Ziele oder Ideologien der Anwender zu verschleiern.“ (Neusprech Wikipedia Eintrag)
„Neusprech“ im Innenministerium?
Nachdem Innenminister Peschorn in der österreichischen Geschichte sich ein Denkmal gesetzt hat, da er die parlamentarische Anfrage von Jenewein nicht beantworten wollte, hat ihn Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) belehrt und aufgefordert, seiner Plicht als Minister nachzukommen. Dies Tat der Minister auch, aber die Qualität der Beantwortung lässt einen politischen Diskurs zu.
EDIS-Kosten von 2007-2010: 3,3 Millionen Euro
Fokus der Jenewein-Anfrage ist ein BVT-System mit dem Namen „EDIS“. EDIS („Elektronisches Dokumenteninformationssystem“) speichert alle Akten und Fälle des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Diese Software dient BVT-Mitarbeitern zur Administration des polizeilichen Alltags.
Die parlamentarische Anfrage beinhaltet die Frage nach einer Jahrespauschale für dieses IT-System. Die Jahressumme soll eine Million Euro für die IT-Dienstleistungen betragen. Darüber hinaus soll es laut Anfrage zusätzlich eine Rufbereitschaft gegeben haben, die monatlich mit 10.000 Euro vergütet wurde.
Doch wie kam der ehemalige Abgeordnete auf die 10.000 Euro Rufbereitschaft? Dies stützt sich auf eine Aussage im BVT-Ausschuss. Die Frage stellt im Übrigen die Nationalratsabgeordnete Stefanie Krisper (NEOS) (siehe auch Veröffentlichung des wörtlichen Protokolls über die öffentliche Befragung der Auskunftsperson N. B. (BVT) (76/KOMM):
„N. B. (BVT): […] Da war unter anderem ein Punkt drinnen, der mich persönlich sehr gestört hat, und zwar hat die Firma hier 10 000 Euro im Monat für Rufbereitschaft verlangt. Das heißt nur, dass sie telefonisch erreichbar sind – mit einer Reaktionszeit von, glaube ich, 24 Stunden. (Allgemeine Heiterkeit.) – Ja, genau, und da habe ich dann eben schon gesagt – in Anbetracht meiner Nebenbeschäftigung –: Na ja, nur dafür, dass ich erreichbar bin, 10 000 Euro zu bekommen, ist für mich schon ein bisschen heavy.“
Zwar ist die tatsächliche Summe in der Beantwortung geringer als durch den Abgeordneten vermutet wurde, aber dennoch sehr beachtlich. In nur vier Jahren hat das IT-Unternehmen vom Innenministerium 3.323.440,20 Millionen Euro für die Software „EDIS“ erhalten. In absoluten Zahlen stehen somit 3,3 Millionen Euro gegenüber vermuteten ca. 4,48 Millionen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich die 3,3 Millionen Euro aus der Beantwortung ausschließlich auf das System EDIS beziehen.
Geheimhaltung vs. Transparenz vs. geleakten BVT-Geheimbericht
Die Vielzahl an Fragen „betreffen wesentliche Kernbereiche der hochsensiblen Tätigkeit und Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes. Ihre Geheimhaltung ist zentrale Voraussetzung für die gesetzmäßige Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden und ist für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit unerlässlich.“
So viel zur Beantwortung in der Theorie, doch vor wenigen Wochen wurde erst ein streng geheimes Dokument vom BVT geleakt. Daher nun zur Praxis.
Ein Witz? Internationale „Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden“
„Es darf um Verständnis ersucht werden, dass über genaue Inhalte, die mit ausländischen Sicherheitsbehörden ausgetauscht werden, auf Grundlage einer Abwägung der Interessen Österreichs an einer internationalen Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden und dem parlamentarischen Interpellationsrecht nach Art. 20 Abs. 3 B-VG, keine Auskunft erteilt werden kann.“
Diese Beantwortung steht diametral zum aktuellen Wissensstand der österreichischen Bevölkerung. Die internen Prozesse und Mängel im BVT wurden in einem streng geheimen Dokument vom „Berner Club“ festgehalten. Dieses Dokument wurde aber bereits öffentlich gemacht und ist somit für jeden Interessierten jederzeit zugänglich. (Fass ohne Boden berichtete mit oe24.at exklusiv: BVT-Supergau: Streng geheimes „Berner Club“-Dokument geleakt)
Darüber hinaus hat Österreich bereits in den vergangenen Jahren diverse Arbeitsgruppen des Berner Clubs selbstständig verlassen. Daher ist es umso beachtlicher, dass der Innenminister auf die Vielzahl an Fragen nicht antworten möchte, obwohl die Missstände im BVT und die internen Mängel öffentlich bekannt sind.
Fazit
Die parlamentarische Anfrage war sehr EDIS-lastig, sprich der Fokus lag auf dem BVT. Gegenstand der „Fass ohne Boden“-Enthüllung lag aber auf vier weiteren Programmen des BMI. Das Innenministerium schafft es in seiner Beantwortung dennoch nicht auf das geleakte Dokument einzugehen. Als ob das Mail nicht existiert hätte. Dass die Dokument echt sind, konnte bereits vor mehreren Wochen durch das Kabinett von Herbert Kickl verifiziert werden.
Zur Erinnerung: Zum einen geht es um einen „Remote“-Zugang, sprich Fernzugang, der nicht protokolliert wurde. Vier IT-Systeme werden namentlich genannt, jedoch war EDIS nicht Gegenstand der E-Mail.
Zu guter Letzt: Hat nun der Zeuge im Untersuchungsausschuss nicht wahrheitsgemäß geantwortet, was er im Untersuchungsausschuss machen müsste? Oder hat das Innenministerium sich „Neusprech“ bedient? Diese Frage wird in den kommenden Tagen die Sicherheitssprecher der parlamentarischen Fraktionen sicher interessieren.