Bundeskanzler Kurz wird ab Montag nur noch per Video zur Bevölkerung sprechen. In der heutige Rede im Nationalrat kündigte Kurz an, er werde der Verteidigungsministerin den Auftrag geben, „einige Milizeinheiten in Bereitschaft zu versetzen“.
Österreich müsse jetzt auf „Notbetrieb“ heruntergefahren werden. Sein Appell ist unmissverständlich: „Bleiben Sie zu Hause! Reduzieren Sie alles auf das Nötigste.“ Doch es gibt Menschen, die das nicht verstehen. Wir zeigen die dramatische Situation aus der Stadt Bergamo (Norditalien) und erörtern die aktuelle Entwicklung der Intensivbetten in Österreich.
Ausnahmezustand in Bergamo
Bergamo ist eine italienische Stadt nordöstlich von Mailand in der Region Lombardei. Mit dem Auto ist Bergamo von Wien weniger als acht Stunden entfernt. Von Klagenfurt sind es überhaupt nur 4,5 Stunden. Im neuen Seuchenherd von Italien kommen täglich zwischen 60 und 80 neuer Patienten ins Spital. Vor einer Woche, um den 7. März, waren es noch ca. 20 Menschen pro Tag.
Und wie dramatisch die Situation derzeit ist, lässt sich unter anderem auch an den Todesanzeigen belegen. Die größte lokale Tageszeitung „L’Eco di Bergamo“ enthält wegen der Coronavirus-Pandemie ein Vielfaches der sonst üblichen Anzeigen. Die Ausgabe vom 13. März hatte 1 ½ Seiten Todesanzeigen, vergleichbar mit einem Print-Format a la Standard oder Die Presse. Laut Chefredakteur Toni Ebner (Zeitung Dolomiten) werden „im Jahresdurchschnitt 20 Todesanzeigen täglich abgedruckt; in der gestrigen Ausgabe waren es 138 Todesanzeigen. Eine unvorstellbar hohe Zahl an Toten. Das ist die Realität.“
Unmengen an Todesanzeigen:
Arzt in Bergamo bricht bereits am 7. März sein Schweigen
Und wer glaubt, dass es sich bei den Artikeln „um Fake News handelt“, braucht nur das Posting eines italienischen Arztes in Bergamo zu lesen. „An vorderster Front“ kämpft Dr. Daniele Macchini täglich gegen das Coronavirus. Am 7. März brach er sein Schweigen. Die dramatischen Schilderungen auf Facebook lösten ein großes Echo aus. Sein Posting wurde mittlerweile über 40.000 mal auf Facebook geteilt. Und bei seinem Posting hat der Arzt seinen ganzen Frust und seine Erlebnisse verarbeitet. Eine Übersetzung der wichtigsten Passagen sind dem tagblatt.ch zu entnehmen:
Nun, die Situation ist jetzt, gelinde gesagt, dramatisch. Mir fallen keine anderen Worte ein. Der Krieg ist buchstäblich explodiert, und die Kämpfe sind Tag und Nacht ununterbrochen.
Dr. Daniele Macchini
«Jetzt ist das Bedürfnis nach Betten in seiner ganzen Dramatik angekommen. Nacheinander füllen sich die leeren Abteilungen in einem beeindruckenden Tempo. Die Tafeln mit den Namen der Patienten, die je nach Operationseinheit unterschiedlich gefärbt sind, sind jetzt alle rot und statt einer Operation steht nun die Diagnose, die immer derselbe Mist ist: bilaterale interstitielle Pneumonie.»
Dr. Daniele Macchini
Und ja, in Italien müssen sich mittlerweile Ärzte tagtäglich der Frage stellen, „wer darf weiteratmen“. Es fehlt in manchen Spitälern bereits an Betten, Beatmungsgeräten, ärztlichem Material und vor allem an Fachpersonal. Und der Druck auf die Ärzte enorm. Diese müssen sich entscheiden, welche Menschen weiter mit Beatmungsgeräten versorgt werden. Menschen die um Hilfe flehen, aber deren Stimme wegen Atemnot bereits versagt hat.
Intensivbetten und die Situation in Österreich
Nein, wir leben nicht Bergamo und ja, dieses Szenario ist auch in Österreich absehbar, vorausgesetzt, die Bevölkerung hält sich nicht an den Appell des Bundeskanzlers. Und nein, wir sind nicht an Panik interessiert, aber ja, wir wollen sorglose Menschen aufrütteln.
Der Schlüssel zum Erfolg im Gesundheitsbereich gegen das Coronavirus liegt in der Anzahl an verfügbaren Intensivbetten für schwer erkrankten Menschen. Bei Intensivpatienten ist eine Beatmung notwendig. Dafür braucht es ein Beatmungsgerät und das dafür entsprechend ausgebildete Personal. Es gibt derzeit rund 2500 Intensivbetten in Österreich, 600 davon in Wien.
Hierzu empfehlen wir die aktuellen Berechnungen von Complexity Science Hub Vienna (CSH) und deren Bericht „CSH POLICY BRIEF“, die sich mit der Zahl der Intensivbetten intensiv auseinandersetzen. Fass ohne Boden berichtete bereits darüber „Coronavirus: Intensivbetten reichen noch zwei Wochen.“ Nun wurden die Berechnungen an die Maßnahmen der Regierung angepasst und überarbeitet.
Die Autoren belegen ihre Berechnungen mit aktuellen Zahlen aus Österreich, sprich die Neuerkrankungen vom 13. März, 504 Fälle. Bei dieser Anzahl handelt es sich um eine Entwicklung, die geringfügig über der exponentiellen Kurve liegt. Die Verdoppelungszeit liegt nun bei 2,27 Tagen (im Vergleich zu 2,3 Tagen am 11. März). Die Verdopplungszeit ist die Zeitspanne, nach der sich der Anfangsbestand verdoppelt hat. Dieses Konzept wird bei Mengen angewandt, die exponentiell wachsen.
CSH-Berechnungen vom 14. März 2020
Die CSH-Forscher gehen von der Annahme aus, dass die Bevölkerung die von der Bundesregierung verkündeten Maßnahmen befolgt und Österreich im Laufe der kommenden Woche auf einen Pfad einschwenkt wie Italien (Verdoppelungsrate Italien derzeit: 3,6 Tage). Anhand dieser Annahme lässt sich der Zeitpunkt berechnen, wann es zu Engpässen bei Spitalsbetten kommen könnte. Die nachfolgende Grafik zeigt die verschiedenen Werte für Intensivbetten, Betten in Stationen Innere Medizin und alle Betten je Bundesland.
Folgende Annahmen wurden berücksichtigt:
- die vom Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker angekündigten 700 zusätzliche Spitalsbetten in Wien (Kapazitätssteigerung bei verfügbaren Betten um 25 Prozent)
- die 880 Betten, die die Stadt Wien derzeit in der Messe Wien aufbaut
- die Annahme, dass die Bundesländer ihre Bettenkapazität ebenfalls um 25 Prozent erhöhen
- die Verdoppelungsraten reduzieren sich auf ähnliche Raten wie Italien.
Der Grafik ist zu entnehmen, dass je nach Bundesland die Kapazitätsgrenzen bei Intensivbetten in spätestens zwei Wochen erreicht sein werden. Diese Zahlen belegen unter anderem die Entscheidungen der Bundesregierung. Es wird nachvollziehbar, warum beispielsweise in Tirol die Orte Galtür, Ischgl, See und Kappl im Paznauntal sowie St. Anton am Arlberg unter Quarantäne gestellt worden sind. Die Ausbreitung des Virus in diesen Gebieten muss verhindert werden.
Der Schlüssel zum Erfolg gegen das Coronavirus: Soziale Kontakte meiden
Umso mehr wird verständlich, warum „social distancing“ so wichtig ist und warum Bundeskanzler Kurz an die Bevölkerung appelliert, soziale Interaktionen mit Mitmenschen auf ein Minimum zu reduzieren. Je mehr Menschen sich an die soziale Isolierung halten, desto eher kann die Zahl an Neuerkrankungen verzögert werden.
Und wenn wir nicht wollen, dass heimische Ärzte wie in Italien mit der Frage konfrontiert werden, „wer darf weiteratmen“, müssen wir uns strikt an die Maßnahmen der Bundesregierung halten.
Nun lautet die Phrase im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie nicht mehr „survival of the fittest“, sondern „survival of the smartest“. Smart sein ist ganz einfach: Soziale Kontakte meiden und die kommenden Wochen einfach zu Hause bleiben und soziale Kontakte meiden.
Corona-Virus: Aktuelle Zahlen aus Österreich
Stand, 15.03.2020, 15:00 Uhr (Abruf gegen 16:45 Uhr)
Bisher durchgeführte Testungen: 8.167
Bestätigte Fälle: 860
Genesene Personen: 6
Todesfälle: 1
Stand, 15.03.2020, 08:00 Uhr (Korrektur gegen 10:00 Uhr)
Bisher durchgeführte Testungen: 8.167
Bestätigte Fälle: 800
Genesene Personen: 6
Todesfälle: 1
Stand, 15.03.2020, 08:00 Uhr (Abruf gegen 09:10 Uhr)
Bisher durchgeführte Testungen: 8.167
Bestätigte Fälle: 758
Genesene Personen: 6
Todesfälle: 1
Stand, 14.03.2020, 15:00 Uhr
Bisher durchgeführte Testungen: 7.467
Bestätigte Fälle: 655
Genesene Personen: 6
Todesfälle: 1
Stand, 13.03.2020, 08:00 Uhr
Bisher durchgeführte Testungen: 6.582
Bestätigte Fälle: 428
Genesene Personen: 6
Todesfälle: 1
Weitere Informationen:
Complexity Science Hub Vienna CSH – Verein zur Förderung wissenschaftlicher Forschung im Bereich komplexer Systeme
Sozialministerium – aktuelle Zahlen der Coronavirus-Erkrankten in Österreich
Coronavirus-Karte