Ist der dystopische Roman “1984” von George Orwell bereits Teil unserer Gegenwart? Dulden wir Stasi-Methoden unter dem Deckmantel der Suche eines Maulwurfs? Ja, diese Woche erleben wir diese Phänomene.
Die Republik Österreich verkommt zum Brettspiel, scheinbar ist wirklich alles in diesem Land möglich. Strukturelle Korruption hat über Jahrzehnte das Wertegefühl dieses Landes ins Wanken gebracht. Der sogenannte Anstand ist nur mehr eine Floskel, das Wort Haltung wohl nicht mehr als ein Kampfbegriff im Wahlkampf. Nur es geht um mehr. Es geht um Integrität und Souveränität eines Rechtsstaates, und nicht nur um eine Folge der Serie “Blacklist.”
Wo bleibt das Machtwort des Bundespräsidenten? Wo bleibt die scharfe Kritik der Bundeskanzlerin? Warum ist der Innenminister noch im Amt? Wo bleibt die VÖZ-Kampagne zur Solidarität für Pressefreiheit? Wo bleibt der Aufschrei der NGOs? Wo bleiben die mahnenden Worte der Geistlichkeit?
Ich bin nicht brotloser Publizist geworden, um täglich meine Meinung abzusondern. Im Gegenteil. Ich lehne grundsätzlich Meinungsjournalismus ab. Aber nach den Entwicklungen der vergangenen Tage darf ich einfach nicht länger zusehen. Nun ist die Zeit für klare Worte da. Es ist nicht nur eine Frage des Anstands, sondern viel mehr eine Frage der Perspektive. Vollste Solidarität mit Richard Schmitt und der Tageszeitung Österreich.
Vernichtender Geheimbericht
Fass ohne Boden und oe24.at enthüllten diese Woche ein geheimes Dokument vom Berner Club. Der Bericht wurde von vier europäischen Geheimdiensten erstellt, um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zu evaluieren. Das Ergebnis des Berichts ist besorgniserregend. Die führenden internationalen Geheimdienste attestieren gravierende Sicherheitslücken, eine Blamage für Österreich. Der österreichische Nachrichtendienst des Innenministeriums ist ein einziger Scherbenhaufen. NEOS reagierten umgehend als politische Fraktion und haben den Nationalen Sicherheitsrat einberufen.
Statt Rücktritten folgte eine Sachverhaltsdarstellung
Und nachdem erstmals in der Geschichte des Berner Clubs so ein geheimes Dokument geleakt wurde, rollten aber keine Köpfe im Innenministerium, ganz im Gegenteil. Das BMI übermittelte der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung. Das muss man sich erst auf der Zunge zergehen lassen.
Das Innenministerium beauftragt einen Landespolizeidirektor aus Salzburg mit der Prüfung des “Qualitäts- und Informationsmanagement beim BVT”. Der Auftrag lautet zu überprüfen, “ob und gegebenenfalls welche Ursachen für das öffentlich werden des Visitierungsberichts des Berner Clubs zum BVT verantwortlich” sind. Was zum Teufel ist mit den Entscheidungsträgern im Innenministerium los? Wo bleiben die Führungspersönlichkeiten?
BVT verfolgt von Blamagen und Enthüllungen
Was dem BVT schlicht und einfach fehlt, sind Führungspersönlichkeiten, die dieses Drama in den Griff bekommen. “Es gibt keine schlechten Mannschaften, Marschall. Es gibt nur schlechte Offiziere.” hat Napoleon I. Bonaparte nicht umsonst gesagt. Und jener Innenminister, der in den letzten zwei Jahrzehnten unpopuläre Maßnahmen gesetzt hat, und sich dem Haufen angenommen hat, wurde medial zerrissen. Doch wer sich im Nachhinein die Entwicklung und Geschichte des BVT ansieht, wird womöglich feststellen, dass die politischen Entscheidungen von Herbert Kickl nachvollziehbar sind. Und ja, es wäre absolut an der Zeit, mit der Führungsriege des BVT aufzuräumen.
Als Staatsbürger stelle ich mir einige Fragen: Wie konnte überhaupt in zwei Jahrzehnten so ein schwarzer Morast entstehen? Wo blieben die politischen Instrumente zur Kontrolle? Wo war die Opposition?
Das BVT ist mittlerweile ein Sinnbild für unsere Mentalität geworden. Bedingungslose Überforderung in einem schwierigen Moment. Aber genau jetzt bräuchten wie Entschlossenheit, Einigkeit und politische Zuversicht. Doch wer wird den Strohhalm reichen?
Herr Minister, stoppen Sie diesen Wahnsinn!
Niki Fellner, oe24.at
Doch bis auf die Kolumne von Niki Fellner vermisse ich die Appelle und harten Worte von Chefredakteuren in diesem Land. Schließlich wurde die Republik Österreich nicht nur einmal Zeuge von kuriosen dilettantischen Machenschaften: das 40-seitige Konvolut über interne Vorgänge im BVT, der BVT-Untersuchungsausschuss für sich, die Affäre um die nordkoreanischen Pässe, die Duldung eines katholischen Fundamentalisten mit Mobbing-Vorwürfen oder gar geheime Dokumente von BVT-Mitarbeitern zu Hause um täglichen Arbeitsaufwand irgendwie noch nachzukommen. Und diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Man erinnere sich nur an das Datenleck im Innenministerium.
BVT-Chef Peter Gridling, aber auch sein Stellvertreter Dominik Fasching kleben nach wie vor in ihren Chefsesseln fest. Es gleicht einer absoluten Überforderung des Innenministers. Wie konnte Peschorn sonst eine Sachverhaltsdarstellung gegen „unbekannte Täter“ wegen des Verdachts des „Verrats von Staatsgeheimnissen“ bei der Staatsanwaltschaft einbringen lassen? So gesehen hat die Republik Österreich ihren ersten Snowden, Assange oder Manning.
Doch es wird Zeit, dass die intellektuellen und politischen Eliten in diesem Land anfangen etwas dagegen zu machen. “Wehret den Anfängen!” lese ich immer wieder auf Twitter. Doch das ist zu wenig. Und ein Tweet löst noch lange keine Wertedebatte aus, es sei dem der Tweet stammt von Donald Trump.
Ich vermisse klare Worte in der Politik, und zwar bei sämtlichen Fraktionen, nicht nur bei den NEOS. Ich vermisse klare Positionen von Chefredakteuren und Herausgebern.
Carl von Ossitzky hat es 1920 auf den Punkt gebracht:
Aber wir können nicht an das Gewissen der Welt appellieren, wenn unser eigenes Gewissen schläft.
Carl von Ossietzky
Daher wacht auf und aktiviert euer Gewissen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Es geht um unsere Pressefreiheit!
Congratulation that‘s the REAL trueth