Wer glaubt, dass nur Spione zur Beschaffung von Informationen für Nachrichtendienste (= ND) verantwortlich sind, der irrt. Eine schillernde Persönlichkeit der ND-Szene heißt C. W. Die bei der Stasi mit dem Decknamen „Nina“ bekannte Seniorin verfügte über erstaunliche Kontakte und war über Jahre hinweg in Wien aktiv. Nicht umsonst gilt Wien als Hotspot für Spione. Rund um „Nina“ scharen sich Ex-Polizisten, Privatspione, Wirtschaftsbosse, Journalisten, Oligarchen, Informationshändler, Unternehmensberater und BVT-Beamte. Die letztgenannte Gruppe hat eine Besonderheit: So mancher BVT-Beamte erhielt „Informationsgelder“ für seine erbrachten Leistungen für „Nina“. Die Ermittlungen lassen die Interpretation von Schmiergeldern zu. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der „Fall Nina“
Aktenstücke zur BVT-Affäre, hunderte Seiten von Zeugeneinvernahmen und gar ein frühzeitig beendeter U-Ausschuss, verschuldet dem Ibiza-Skandal, haben einen Trümmerhaufen an Informationen der Staatsanwaltschaft hinterlassen. Ein wichtiges Puzzlestück, um die internen Abläufe im BVT und die Beweggründe für das sogenannte BVT-Konvolut zu verstehen, heißt „Nina“. Das BVT-Konvolut wiederum, sprich jenes Pamphlet, dass unter anderem zur Razzia beim BVT gesorgt hat, wird wieder aktueller denn je. Darüber hinaus sollte man die Zeugeneinvernahmen vom Unternehmensberater X. Y*. gelesen haben, um die tiefen Gräben und Abgründe des BVT besser zu verstehen.
“Lobbying bei Behörden und Nachrichtendiensten”
Fass ohne Boden liegen mehrere Konzepte, Korrespondenzen und Einvernahmen rund um „Nina“ vor, die es in sich haben. „Sie hatte nach ihren Erzählungen aber auch gute Kontakte zu BND, BVT und zum Schweizer Nachrichtendienst“, so der ehemalige Weggefährte und Unternehmensberater X. Y. von „Nina“ in seiner Einvernahme im Jahr 2018.
Doch was genau machte „Nina“ eigentlich? „Aus diesen Kontakten heraus entwickelte sie in Projekten für Auftraggeber Lösungen für strafrechtliche Probleme, indem sie Informationen beschaffte und so eine Art Lobbying bei Behörden und Nachrichtendiensten machte, damit Leute aus Verfahren wieder herauskommen.“ Und wie genau dies abgelaufen ist, lässt sich an den zuvor genannten Einvernahmen rekonstruieren: Der Verdacht von Schmiergeldzahlungen an BVT-Mitarbeiter liegt in der Luft. Mit anderen Worten: Es darf davon ausgegangen werden, dass BVT-Beamte Informationen an Dritte gegen Entgelt weitergegeben haben. Hinter diesen Maulwürfen ist das BAK hinterher. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt nach wie vor zu den Umständen und Hintergründen. Und so manchen Protagonisten kennt man mittlerweile aus dem BVT-Untersuchungsausschuss.
„Nina“ hat unter anderem für die Hypo Alpe Adria, für das Sicherheitsunternehmen G4S, oder auch für den ehemaligen österreichischen Bankmanager und Vorstandsvorsitzenden (CEO) der Raiffeisen International Herbert Stepic sogenannte Konzepte erstellt. Und das Portfolio der Dame ist in der Tat beeindruckend: Ob das größte, an der Wiener Börse notierte österreichische Industrieunternehmen, OMV, Vienna Insurance Group, der ukrainische Oligarch Dmitri Firtasch oder gar das engste Umfeld vom ehemaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) zählen zu den Gesprächspartnern von „Nina“.
profil-Enthüllung mit Fokus auf BVT und „Nina“
Dass „Nina“ zurück am Radar ist, verdankt die heimische Medienlandschaft dem Profil-Redakteur Stefan Melichar. Vergangenen Montag veröffentliche das Nachrichtenmagazin Profil die Story „Agentin Ninas langer Schatten“: „Im Rahmen der Anfangsverdachtsprüfung stellte sich dann heraus, dass der OMV-Konzern insgesamt rund 9,1 Million Euro für das Projekt „Scout“, das von 2008 bis 2013 lief, bezahlt hatte. 7,5 Millionen Euro davon kamen von der OMV Exploration & Production GmbH mit Sitz im OMV-Headquarter in der Wiener Trabrennstraße. Erst in einer späteren Projektphase leistete die Rumänien-Tochter Petrom den Rest der Zahlungen.“ (profil.at)
Wie nun in einem Hintergrundgespräch von einem Insider zu erfahren war, erhielt „Nina“ bei einem Projekt mit der OMV 50.000 Euro pro Monat, und das zwei Jahre lang hindurch. 1,2 Millionen Honorar flossen von der OMV an „Nina“. So ist laut dem Insider zu vernehmen, dass der Einsatz von ihr mehr als erfolgreich war. Schließlich ist in Rumänien der Diebstahl von Erdöl und Erdgas stark zurückgegangen. Doch die Methode dürfte nicht nur so manchem Staatsanwalt den Kopf zerbrechen. Darüber hinaus erhielt ihr Partner in Österreich, ein gewisser M. M., ebenfalls eine fürstliche Entlohnung in der Höhe von 600.000 Euro pro Jahr (weitere Details und Hintergründe: OMV zahlte 9,1 Millionen Euro für umstrittenes Rumänien-Projekt).
Im Visier der heimischen Korruptionsjäger, sprich dem BAK, ist auch ein gewisser Chefinspektor H. B. vom BVT. Und dieser Ermittler ist kein unbeschriebenes Blatt. Bereits 2009 lag der Verdacht von Amtsmissbrauch gegen ihn vor. H. B. spielt eine prominente Rolle im Ermittlungs- und Auslieferungsverfahren von Rakhat Aliyev. Dieser wurde wenige Jahre später, im Februar 2015, in seiner Gefängniszelle in der Justizanstalt Wien Josefstadt erhängt aufgefunden worden. Der Tod des Kasachen steht aber in keinem Zusammenhang mit H. B.
Polizeibeamte und BVT-Beamte auf der Payroll von „Nina“?
Die Privatspionin „Nina“ verfügte laut einem Mail vom 31.12.2013 über einen beachtlichen Ressourcenpool an Mitarbeitern: „F. N. schickt Ende der Woche sein Profil, auch zugeschnitten auf Observierung etc. F. war auch für die Ausbildung/&Training der Kurden im Nordirak zuständig. Ein verlässlicher und erfahrener Polizist.“
Aber auch britische Ex-Geheimdienstmitarbeiter finden sich im Netzwerk von „Nina“: „The Directors are detectives with over twenty years of experience working with the British Intelligence Services (MI5 and MI6).“
So sind auch ehemalige Spitzenbeamte des Innenministeriums in den Unterlagen von „Nina“ ebenfalls zu finden. Beispielsweise liest man von einem gewissen „Ossi“, so der Spitzname eines ehemaligen ranghohen roten Polizeioffiziers, der im direkten Umfeld zum ehemaligen Kanzler Gusenbauer (SPÖ) steht. Dieser war nicht nur direkter Korrespondenzpartner von „Nina“, sondern auch ein Ansprechpartner für weitere Projekte. Insbesondere tauchen mehrere E-Mails und Angebote auf, die keinen schlanken Fuß beim Sicherheitsunternehmen G4S machen.
Am Beispiel „Nina“ kann FoB belegen, dass zumindest im Dunstkreis von C. W. Bestechung und Bestechlichkeit ein Thema war. Beispielsweise hätte das Konzept für das Reputationsmanagement vom Spitzenbanker Herbert Stepic 85.000 Euro gekostet. Stepic wurde im Jahr 2013 eine Enthüllung von Kurt Kuch und Stefan Melichar (damals News) zum Verhängnis. Der damalige Raiffeisen International CEO musste zurücktreten. Daher war man auf der Suche nach Fachkräften im Bereich der sogenannten „Litigation PR“.
Im Konzept „Reputationsmanagement“ von „Nina“, dass über die G4S dem ehemaligen Raiffeisen Banker Herbert Stepic vorgelegt wurde, wären Abfragen und Recherchen in der Höhe von 25.000 Euro für „Deutsche und Österreichische Behörden“ enthalten. Und mit der österreichischen Behörde sind zur damaligen Zeit Vertreter vom BVT und Innenministerium gemeint.
Wurden BVT-Beamte geschmiert?
„Im Zuge des Projekts Hypo Alpe Adria (ca. Herbst 2015) habe ich mitbekommen, dass man auch mit Beamten direkt arbeiten kann. […] Dr. W. (Anm.: ehemaliger Kabinettsmitarbeiter von Günther Platter, ÖVP und bis Mitte 2018 Entscheidungsträger der G4S) teilte mit, dass XX der operative Leiter wäre, YY würde fürs Personal sorgen und konkret die Arbeit solle B. machen, welcher wiederum direkt dem XX berichten sollte.“ Mit dieser Zeugenaussage belastet X. Y. gleich mehrere Beamte massiv.
Diffamierungskampagne gegen Ex-Agenten
Dass im Hintergrund des BVT die Fäden bei einigen, wenigen BVT-Beamten zusammenlaufen, wurde bis dato vermutet. Nun liegt FoB ein Telefonprotokoll vor, dass belegt, dass ein Kurier-Redakteur im engsten Kontakt mit dem BVT-Beamten H. B. gestanden ist. Bei diesem Telefonat geht es um Hintergrundinformationen zum ehemaligen Agenten, welcher scheinbar 2012 zur „Persona non grata“ vom BVT erklärt wurde.
Bei H. B. geht es um einen der engsten BVT-Vertrauten von „Nina“. Der Zeugenaussage von Unternehmensberater X. Y. ist zu entnehmen: „H. ich bin so froh dass Du das jetzt machst“. Und dass H. B. sowie weitere BVT-Beamte und der ehemalige Kabinettchef zum engsten Kreis von „Nina“ gezählt haben, ist der Zeugeneinvernahme vom Unternehmensberater X. Y. zu entnehmen: „Sie hat mir erzählt, dass sie den Z., den K., den Herrn P. (es handelt sich um einen Mitarbeiter des BVT der P. oder ähnlich heißt) und den H. B. im Innenministerium bzw. BVT hat. Das wären ihre Ansprechpartner, wenn es um Informationsbeschaffung vom BMI oder BVT geht für diese Informationen wäre natürlich zu bezahlen, die Summen sind abhängig vom Projekt und dort auch angeführt. Tituliert wurden sie als „Information Behörde“ oder „Information BVT“. Gemeint war damit Beschaffung von Information aus Ermittlungsakten oder über Personen.“
Im Jahr 2016 versucht der Kurier Redakteur nähere Informationen über den Agenten zu erfahren, und zwar direkt bei BVT-Beamten H. B.. Dabei ging er der Frage nach, ob der Ex-Agent tatsächlich das Innenministerium oder die damalige Innenministerin erpressen wollte:
Kenner des BVT sind sich einig, dass beim österreichischen Nachrichtendienst ein Exempel gegen den unbequemen Ex-Agenten inszeniert wurde. Mit Lug und Trug wurde ein Szenario konstruiert, dass ihn als „Nachrichtenschwindler“ verunglimpfen sollte. Und ja, mehrere BVT und Politiker sprangen auf diese Diffamierungskampagne auf.
Fakt ist aber auch, dass wer sich intensiver mit dem BVT auseinandersetzt, wird beim Namen des ehemaligen Agenten nicht vorbeikommen. Bereits Anfang des Jahres berichtete FoB („Höflichkeit“ a la Sektionschef Pilnacek) über einen ehemaligen Agenten, der bei der Freilassung eines ehemaligen Jagdkommando Unteroffiziers im Jahr 2015 und 2016 involviert war.
Fazit
Aufgrund der Komplexität und der geringen Möglichkeit, Geheimdienst- und Nachrichtendienstinformationen zu verifizieren, bedarf es an Monaten, bis einzelne Aussagen geprüft und überprüft werden können. Von Seiten der Behörde wird seit Monaten geblockt.
In der Regel lesen sich die Beantwortung der Exekutive wie folgt: „[…] mit Hinweis auf das Datenschutzgesetz grundsätzlich keinerlei Medienanfragen zu personsbezogenen Daten bzw. zu Amtshandlungen bestimmten Personen gegenüber, egal ob in staats-, kriminal- oder verwaltungspolizeilichem Kontext. Ferner wären und sind staatspolizeiliche Agenden sowie konkrete Arbeitsweisen und Prozedere des LVT Wien aus Interessen des Staatsschutzes und der Geheimhaltung grundsätzlich nicht medienöffentlich.“
Gegenüber der Redaktion vertraut sich der Ex-Agent wie folgt:
„Fakt ist, dass Johanna Mikl-Leitner niemals erpresst wurde”, denn der BVT-Chef Gridling fragte den Ex-Agenten am 20.12.2012 laut Aussagen und Aufzeichnungen seines Anwalts: „plötzlich und für mich völlig unerwartet stellt Mag. Gridling die Frage an meinen Mandanten wieviel er denn wolle.” Auf Nachfrage des Mandanten, bei einer nachfolgenden Besprechung, sagt der damals anwesende Wiener Promi-Anwalt (O-Ton Anwalt): „Als ich hätte hier notiert in meiner Aktennotiz wieviel er denn wolle.“ (Anmerkung der Redaktion: Die Aussagen vom Anwalt zum Mandanten liegen in einem Wortprotokoll vor).
Bemerkenswertes Detail am Rande: Bei der Besprechung mit Gridling, dem Ex-Agenten und dem Anwalt am 20.12.2012 war auch der künftige BVT-Chef Mag. Johannes Freiseisen anwesend.
Laut einem weiteren Gerichtsakt teilte ein WKO–Vizepräsident am 29.05.2015 dem Ex-Agenten telefonisch mit, dass er die damalige Innenministerin Mikl-Leitner auf seine Person angesprochen hätte. Diese kannte sogar seinen Namen.
Die Rolle von Peter Gridling in der Causa „Nina“ ist mehr als fragwürdig, besonders aber im Umgang mit dem Ex-Agenten zu hinterfragen. Sein Kollege XX dürfte sehr wohl eine prominente Rolle in der Causa “Nina” eingenommen haben.
Aber auch personenbezogene Unterlagen des Agenten wurden von BVT-Beamten für „private“ Personen organisiert und vermutlich an Dritte weitergegeben. So sei ein ehemaliger ÖVP-Klubchef, der nun Verfassungsschützer ist, an dieser Stelle genannt. Das dürfte nicht die letzte Unstimmigkeit im BVT gewesen sein.
Hätte der Ex-Agent das BMI oder die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) tatsächlich erpresst, der bis heute ein unbescholtener österreichische Staatsbürger ist, so hätte sich dieser in der Vergangenheit gegenüber einem Richter verantworten müssen. Dies ist aber nicht so.
Aber auch bei den Dokumenten, die man bei der Hausdurchsuchung im Zuge der BVT-Razzia gefunden hat, dürfte es mehrere Unstimmigkeiten bei den Akten in Bezug auf den ehemaligen Agenten geben. Die Vermutung liegt nahe, dass bestimmte Dokumente nachträglich und absichtlich nachbearbeitet wurden. Das Dokument wurde nicht nur vor der Erstellung gedruckt (siehe Datum). Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass die Bearbeitung zum Nachteil des ehemaligen Agenten stattgefunden hat:
Nun ist Geduld gefragt: Ob und welche konkreten Ermittlungsergebnisse die Staatsanwaltschaft extrahieren wird, gilt es abzuwarten. Für den Zeugen Unternehmensberater X.Y.. steht laut seiner Einvernahme eine Sache klar: „Jedenfalls hat C. für mich klar zum Ausdruck gebracht, dass sie auch an XX und YY Zahlungen geleistet hat. […] C. hat jedoch mehrfach von Quellengeldern gesprochen.“
Anmerkung der Redaktion
*Die Namen vom Unternehmensberater X. Y. und des ehemaligen Agenten sind der Redaktion bekannt. Zum Schutz der Identität der Personen wurden Phantasiekürzel im Artikel verwendet.
Zum Schutz der Quellen und des erhalten Materials wurden Abschriften angefertigt, die dem Original entsprechen.
Anmerkung in eigener Sache
Da ich im vergangenem Jahr als Zeuge bei einer anderen Enthüllung vom BAK einvernommen wurde, nachdem ich Teile eines Verschlussakts veröffentlicht habe, handelt es sich bei den Belegen um Abschriften. Dies ist eine weitere Sicherheitsmaßnahme zum Schutz der Informanten und meiner eigenen Person.
Ergänzung und Überarbeitung
Donnerstag, 16.07.2020, 16.35 Uhr: Der Artikel wurde nach einem Schreiben vom Anwalt von YY und XX überarbeitet. Gerne kommt die Redaktion dieser Aufforderung nach.
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